Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
GAA, Bd. IV, S. 47 zurück Seite vorwärts

[GAA, Bd. IV, S. 47]

 


zeigt sich schon durch die Bemerkung, daß z. B. in Romeo
und Julie die Amme eine gemeine widerliche Person, keinesweges
eine zur Handlung nöthige ist, — daß im selben Stücke,
ganz gegen die shakspearische Art die beiden Hauptpersonen
5keine Charactere, sondern nur verliebte junge Leute
sind, — daß der Kaufmann von Venedig zum großen Theil
nur aus Episoden zusammengeflickt ist, deren verknüpfendes
Band man nicht sieht. Nur das Geständniß bitte ich mir zu
erlauben: daß ich den Sommernachtstraum wirklich für ein
10vollendetes Meisterstück halte.

  Shakspeares komische Kraft, seinen Witz und Humor betrachten
und empfehlen die Leute gleichfalls Erstdruck als ein non plus
ultra. Welch Geschrei erhob sich vor einigen Jahren als in
Berlin die „twelfth night“ (was ihr wollt) durchfiel. Die guten
15Berliner begriffen den Shakspeare nicht!

  Der shakspearische Humor trägt ohne Zweifel etwas von der
altenglischen Schule an sich, Handschrift selbst der Einfluß des „Euphues“
ist nicht zu läugnen. Selten jedoch hat einem Dichter eine so
großartige Komik zu Gebote gestanden als dem Shakspeare:
20Falstaff und Percy, beide auf dem Schlachtfelde, der eine sich
todt stellend, der andere todt, — darin liegt eine Weltanschauung,
von der Longin sagen könnte, daß sie ein erhabenes
Lächeln erregte. Shakspeare begnügt sich in seinen Lustspielen
nicht mit Einzelnheiten, einzelnen Schlagwörtern, einzelnen
25Witzen, er legt das ganze Stück, die Charactere
selbst komisch an.

  Aber die bloße komisch angelegte Characteristik und
Composition können zur vollkommenen Wirkung eines
Stückes allein nicht genügen: am lebhaften Dialog, voll von
30Geist, sprudelnden Einfällen und von Humor darf es ebenfalls
nicht fehlen. Shakspeare hat auch hier, wie der Falstaff fast
durchgängig beweis't, Erstdruck Großes geleistet. Aber, aber — wie oft
stößt man in dieser Hinsicht in anderen shakspearischen
Stücken auf ganze witz- und blumenleere Wüsten, statt
35aristophanischen Scherzes mit geschraubten Redensarten angefüllt.
Dieß zu beweisen braucht man grade das als Ganzes
vortrefflich angelegte „Was ihr wollt“ anzuführen. Einen witzloseren
Narren, der nur mit herbeigezogenen Vergleichungen
aufwarten kann, kenne ich nicht, selbst Junker Tobias, trotz
40der herrlichen Situationen, die er zu veranlassen weiß, scheint
unfähig sie mit dem gehörigen Scherze auszustaffiren. Bloße

 

 
 
Werktext:Anmerkungen: