| [GAA, Bd. IV, S. 110] Schiller hatte einen ganz anderen inneren und äußeren Lebenslauf als Goethe. Niederen Standes, in die Stuttgarter Militairschule gezwängt, um von da aus die Brot:Carriere zu machen, erschuf er, um seine vom bürgerlichen Lebensverhältniß 5gedrückte Brust zu lüften, die Räuber. Nachher verliebte er sich, und außer tiefgefühltem Schmerz, schafft nichts mehr als Liebe (einerlei, ob unglücklich oder glücklich) den Poeten, — aber er genoß in seiner Jugend der Liebe nicht, wie Goethe vermuthlich gethan. Herr Buchhändler Schwan in 10Mannheim hielt es für räthlich, dem jungen unbemittelten, bloß von seinem Geiste zehrenden Mann die Hand seiner Tochter Laura zu verweigern. So erreichte er das Mannesalter, ohne äußeres Glück gekannt zu haben. Er mußte sich in sich selbst zurückziehen, und mit Idealen begnügen. Doch 15ein Geist wie der seinige, zwar übervoll von Gedanken, tüchtige und phantastische durcheinander, aber auch im Drama unaufhörlich mit der Darstellung der realen Welt beschäftigt, merkte bald daß poetische Gebilde nicht bloß Gedanken seyn, sondern auch Form und Körper haben wollen. Und da strebte 20er denn mit der ihm eigenthümlichen Kraft, die Welt, das Leben, und den Menschen aus Erfahrung und Geschichte kennen zu lernen, und daß er mehr und mehr diese Kenntniß errang, bezeugen seit dem Wallenstein alle seine großen Werke. Er wird mit Ausnahme der Braut von Messina (die 25vielleicht viele Anklänge früherer Zeit und früheren Naturells ausspricht, und ihm dadurch für stets die Brust lüftete) immer wahrer, objectiver, und in Naturschilderungen eben so trefflich als Goethe. Man lese nur den Tell und das Fragment vom Demetrius.30 Schillers Geist und Fleiß hatten am Ende seiner Laufbahn das erobert, was Goethe's Talent und Glück bei dem Anfang der Goethischen besaßen. Schiller begann mit einer Semele und schloß mit einem Tell, Goethe begann mit dem Werther und dem Goetz von Berlichingen, und schloß mit 35der natürlichen Tochter und den Wahlverwandschaften. Die Belletristen mögen über den Unterschied dieses verschiedenartigen Endes urtheilen. Was Goethe seit den Wahlverwandschaften und der natürlichen Tochter geliefert hat, verdient nur, daß seine Lobhudler in berüchtigter Art es loben. 40Darum erwähn' ich es nicht. |
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