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[GAA, Bd. IV, S. 371]

 


Lehrers gehalten und da sehr fleißige, wenn auch regelrechte,
Arbeiten geliefert. Als die Reihe an Grabbe kam, vorzulesen,
las er ein wunderliches Ding vor, das einen ganz eigenthümlichen
Ton anschlug und so blendend, phantasievoll und sinnreich
war, daß Lehrer und Mitschüler staunten und fast bezaubert
waren [...] So viel sich seine Altersgenossen noch
erinnern, war von einem Eichhörnchen in den Gipfeln des
Waldes und von einem Ei, das zuletzt zerbricht, die Rede,
Alles mit einer sonderbaren Beziehung. Der Lehrer hörte das
Märchen aufmerksam an, dann ließ er es nochmals lesen,
was sonst niemals vorkam und versetzte: 'Grabbe, wo haben
Sie das her? Es ist ja, als ob man von Calderon oder Shakespeare
etwa lese.'“

  Erhalten hat sich diese frühe Bekundung von Grabbes poetischer
Begabung nicht, so wenig wie die große Masse seiner
sonstigen Aufsätze. Denn die Papiere aus der Schulzeit sind
nach seinem Tode in einen Kramladen gewandert und dort
wohl als Makulatur gebraucht worden. Ein einziger nur ist
durch einen Zufall bewahrt geblieben und liegt uns nun vor
als ein denkwürdiges Zeugnis aus des Dichters Knabenjahren.
Denn er stammt nicht aus der Zeit, über die Ziegler berichtet
und in der der Frühreife bereits so sehr Herr der Sprache war,
daß er die eigentümlichen Gebilde der Phantasie zur Verwunderung
von Lehrer und Schülern gestalten und den Vergleich
mit den beiden großen Europäern herausfordern konnte. Ja,
er liegt sogar noch vor dem ersten der uns bekannten Briefe,
in dem der damals höchstens Vierzehnjährige die Eltern so
altklug und seiner Mittel sicher zu umschmeicheln weiß. Er
zeigt uns den Knaben noch durchaus im Kampfe um die Herrschaft
über die Sprache und ist damit die älteste auf uns
gekommene Äußerung von Grabbes geistigem Leben überhaupt.


  Die genauere Datierung des Aufsatzes freilich bereitet
Schwierigkeiten. Harrys, der ihn etwa zwei Jahre nach des
Verfassers Tode in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift
„Die Posaune“ veröffentlicht hat, meint, Grabbe habe ihn als
acht- oder zehnjähriger Schulknabe geschrieben. Offenbar faßt
er damit nur die Angabe Georg Meyers aus eigenem spezieller.
Nun ist es zwar außer Zweifel, daß der Aufsatz vom Rat
Falkmann gegeben und korrigiert worden ist, aber merkwürdig,