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[GAA, Bd. V, S. 150]

 


  Das Ideal eines Briefes ist völliger Ersatz mündlichen Gesprächs.
Da ich nun Mund zu Mund sehr rappelig, incorrect
und nachlässig rede, auch dieß unter Leuten, die sich kennen,
für keinen Fehler halte, — so verzeihe mir auch den Wirrwarr
5dieser Send (Zent-)Schrift.

  Ewr Wohlgeboren sind so gütig, sich meiner früheren poetischen
Arbeiten zu erinnern, ja, machen mir Hoffnung, daß
Dasjenige, was wir früher gemeinschaftlich wünschten, eben
durch Sie realisirt werden könne, nämlich der Abdruck jener
10Poesien. Wer hätte diese Glückswende, die einen der vertrautesten
Theilnehmer an meinen litterarischen Productionen,
zu deren kräftigsten und unmittelbarsten Beförderer im Publico
scheint machen zu wollen, vor 4½ Jahren auf der Stube
der Wittib Pütschel gedacht? — Kettenbeil, viele Stunden
15sind seitdem verflossen, Vieles ist erlebt, Du bist mir lieb
und werth, also will ich Dir kalt auseinander Handschrift setzen, was
ich über diese Sache denke. Doch zuerst auch hier eine Episode.

  Denk Dir, Uechtriz mit den ausgetrockneten Haaren, er,
der mich in Briefen, die ich noch von ihm bei mir liegen habe,
20so hoch über sich selbst erhebt, er, dessen Autorität ich bloß
durch mein Erscheinen in seinen Berliner Zirkeln vernichtete,
er, der Poesieentblößte, soll ein Trauerspiel: „Alexander u.
Darius“ mit Beifall auf der Berliner Bühne aufgeführt haben,
und dieses Ding soll genial seyn. Die Sonne muß eine Brille
25aufsetzen, wenn sie im Üchtriz eine Spur von Genialität erblicken
will. Dieses Trauerspiel ist, wie ich schon am Titel
merke, sonder Zweifel ohne innere Lebenskraft, ohne Einheit,
ohne Endwirkung, ohne Poesie, sondern höchstens eine phrasenhafte
halb adlige Repräsentation. Ich will es nie lesen,
30aber doch richtig recensiren. — Wie kann ich in arte existiren,
wenn ein Üchtriz Beifall findet?