| [GAA, Bd. IV, S. 105] sie zu ihrer Zeit aus weltklugen und sonstigen Ursachen immer den verstorbenen Shakspeare über den lebenden Herrn von Goethe, so arg sie ihn auch erhoben, setzten, noch sich ganz des Zweifels entwöhnen können, ob Goethe dieses, vielleicht 5sich selbst halb unbewußt, nicht übel genommen bis auf den heutigen Tag. Goethe, der Sohn einer mehr gebildeten, mehr bewegten Zeit hat jeden Vorzug, den die Zeit ihm vor dem englischen Dramatiker geben konnte, — aber Shakspeares Geistesgröße hat er nicht — Gesetzt, daß Shakspeare jetzt lebte, 10und einen Robespierre schriebe, Goethe das Gleiche versuchte — wer würde wählen zwischen der Schilderung des empörten Meeres, wahr, roh und prächtig, wie Shakspeare sie oft (leider auch nicht immer!) gibt, oder zwischen der Darbietung eines Glases Champagner, wohlschmeckend, aber gekünstelt 15zubereitet, lieblich und nett, wie Goethe z. B. im Egmont uns den Trank reicht? — Ob Goethe, ob die Schlegel dieses Verhältniß gefühlt, ob erstere darum den Goethe nur zu einem der niederern Goetzen, den Shakspeare zum Abgott gemacht haben, und ob Goethe dieses übel nahm oder übel 20nimmt, stehe dahin. Mir ist es gleichgültig. Die Zeit ist der beste Recensent, und wird endlich entscheiden. Hin und wieder fallen übrigens dem Leser in dem Briefwechsel einige gute Stellen auf. Wie gern würde ich nach so vielem, und wie mir scheint, so gerechten Tadel, diese Bogen 25damit füllen. Aber auch diese Stellen sind meistens nur halbwahre, unklare Gedanken (fast sämmtlich von Schiller), oder ein paar Notizen (fast sämmtlich von Goethe), welche Tausende grade so gut an das Licht gefördert haben. Und wie selten trifft man in dem Wuste auf diese Erträglichkeiten! 30In sechs Theilen, wie dieser Briefwechsel enthält, fördert auch der mittelmäßigste Schriftsteller bisweilen ein tüchtiges Wort zu Tage. Selbst bei den tüchtigen Worten geht der Herausgeber so leicht zu Werke (ich würde sagen freimüthig, wenn nicht 35Alles auf Kosten Schillers und aus Ursache der eigenen blinden Eitelkeit gedruckt da läge), daß man deutlich merkt, wie sehr man den beiden Herren erst auf den Nagel fühlen muß, sobald man ihren Worten glauben will. Trotz ihres vorgerückten Alters kennen beide weder recht einen Aristoteles noch einen 40Thomasius, — weder griechische noch französische Tragiker, — sie verwundern sich wie Kinder, wenn sie etwas Ansprechendes |
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