| [GAA, Bd. I, S. 610] ein gegenwarts- und überhaupt weltflüchtiges Moment, Preis der deutschen Vergangenheit und der deutschen Kunst, Stolz auf die völkische Eigenart weisen das Werk ebenso der Romantik zu, wie die Form mit ihren eingeflochtenen Liedern und Märchen, ihren Vorlesungen aus alten Chroniken, den Erzählungen eigener Erleb- nisse und Lebensbeichten. Ganz biedermeierlich dagegen das versüß- lichende Bild der Frau mit ihren „Hiazinthenlocken“ und „Veil- chenaugen“, ihren „Rubinenlippen“ und „Schwanenhänden“; nicht minder charakteristisch für jene die Romantik verflachende Epoche aber auch das Glück des „einfachen Lebens“, in dem das Schicksal Emmas seine schließliche Erfüllung findet. Ihre opferbereite Tätig- keit in einem weiteren Bereiche bleibt Episode. Die Erzählung: „Die Zeit ist hin, wo Bertha spann!“, der das Motiv der Liebes- probe zu Grunde liegt, ist von schlichterer Art. Die seelische Struk- tur der handelnden oder duldenden Personen ist bis zur Primitivi- tät vereinfacht, das Schema der Schwarz-Weiß-Malerei auch hier angewendet. Die in der zweiteiligen Sammlung vom Jahre 1822 vereinigten Erzählungen und Novellen, unter denen sich auch ein als Anekdote bezeichneter Beitrag findet, spielen zum Teil in der Gegenwart, zum Teil in der Vergangenheit; einige vor dem Hintergrunde eines Krieges. Zweimal sind geschichtliche Persönlichkeiten (Rembrandt und Luther) in die Handlung einbezogen. Nicht wenige der Werke bezeugen ein unleugbares Fabulier-Talent. In ihnen weiß die Ver- fasserin schlicht und innig zu erzählen und eine Handlung knapp und klar dem, zumeist guten Ende entgegenzuführen. Freilich ist die Intensität der Gestaltung verschieden. So ist z. B. gleich der erste Beitrag, die Novelle „Siegfried und Wallburg“, kaum mehr als rohe Skizze. Jedoch bewährt sich Helmina von Chézy auch als Stimmungskünstlerin. Sie hegt eine Vorliebe für friedliche oder idyllische Zustände, die sie dann liebevoll ausmalt. Aber auch das unheimliche Wesen eines von Geisterspuk heimgesuchten Raumes oder die Düsternis und Schwermut einer Totenmesse vermag sie eindrucksvoll zu gestalten. Wie man es von ihrer Religiosität und ihrer moralisierenden Tendenz nicht anders erwarten kann, ist der Charakter ihrer Schöpfungen im ganzen ernst. Ein scherzhafter oder humoristischer Zug bildet eine seltene Ausnahme. Ein krimi- neller Einschlag wird nicht verschmäht. Das Bild der Welt, wie es diese Sammlung zeigt, ist charakterisiert durch eine idealisierende Überhöhung der Wirklichkeit, die bis zur Wirklichkeitsferne führen kann. Die Dichterin erscheint blind vor den Abgründen des Lebens und der Unerbittlichkeit sozialer Probleme. Selbst in der Novelle „Die wundersame Cur“ (I, 237—96), in der sich das Leben ein- mal ein wenig von seiner grausamen Seite zeigt, wendet sich am Ende alles zum Guten, und eine Verlobung fehlt auch hier nicht. Diese dem Diesseits abgewandte Haltung hat ihre Wurzel in der Überzeugung: die Welt sei voller Irrsal und Jammer, und das höchste Gut der Frieden in Gott (II, 213). Von diesem Standorte her bestimmt sich auch der Charakter der Handelnden. Immer wie- der stößt man auf die Neigung, irdischen Freuden zu entsagen oder das Leben allzu rasch wegzuwerfen. So ist es in der Novelle |
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