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[GAA, Bd. IV, S. 107]

 


s.g. Briefwechsels leuchtende Meteore seyn. Großentheils bestehen
die ästhetischen Recensenten, Referenten, die romantischen
Erzähler, die Dichterlinge, aus überspannten Menschen,
welche dadurch zu ihren Kritiken und Productionen gelangt
5sind, daß sie in der Jugend echte Bildung versäumten, lieber
Romane lasen als Kunst und Wissenschaft studirten, und daß
sie jetzt, wo sie nirgends nütz und einheimisch sind, sorgen
müssen, durch armseelige Productionen ihr bischen Brod zu
verdienen. Wären unter diesem Volke nur noch Genie oder
10Gedanken, die Geist verriethen, man verziehe ihm die albernen
und leider so oft lügenhaften Faseleien. Das Gesindel
hätte denn doch den Geschmack ausbilden sollen, weil Jeder,
der nicht ganz bornirt ist, das kann. Dieses geht bei
einigem Fleiße. Aber man lese, man spreche die Leute,
15— (Gott behüte mich davor, ich habe Beispiele,) schwerlich 12
unter ihnen, die nicht nach alter Weise frech über Homer,
Sophokles, Dante, Shakspeare, Schiller, Goethe ableierten,
ohne die Schriftsteller selbst zu kennen, — schwerlich 6 belletristische
Blätter in denen nicht jedesmal auf der 3ten Seite
20ein grober Schnitzer gegen Kunst oder Wissen enthalten wäre.
Ein Journal über die Journale, welches deren Fehler aufzeichnete,
würde dicker als manches der besten derselben. Bloß
Journalliteratur ist die Wissenschaft der meisten Journalcorrespondenten,
— der Leser hat in der Regel etwas Ernsthafteres
25zu thun, als weitläuftig ihren Fehlern und Lügen nachzuspüren,
— er nimmt ihre Aussagen als ein Amusement auf
Glauben an. Ein schlechtes Amusement verdirbt aber zuletzt
den Geist auch.

  Von diesen Nachkläffern großer Männer, welche letztere
30sie mit ihren Tönen anbellen oder vergöttern, wie denn grade
die Mode ist, auf diese Männer zurück. Schiller hält sich
selbst, besonders in dem Briefwechsel, für subjectiv, Goethe
läugnet seine Objectivität nicht, viele Belletristen schwören auf
Schillers Sub- und Goethes Objectivität, und die ganze Sache
35ist ein Traum, ein Streit um philosophische Worte, die so oft
ein Wesen bezeichnen wollen, das nicht existirt. Man zeige
mir von den Homeriden bis zu Goethe, von Alexander dem
Großen bis Napoleon einen Menschen, der nicht subjectiv gedichtet
oder gehandelt hätte. Jeder Mensch hat seinen eigenen
40Schnabel, und dem geht er nach. Schiller und Goethe so gut
wie ich.