Nr. 99, siehe GAA, Bd. V, S. 118 | 27. August 1826 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Christian Gottlieb Clostermeier (Detmold) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| G. P. M. Vor Allen muß ich bemerken, daß die Vorstellung an Serenissimum mir gewiß mehr Lob gibt, als ich verdiene, und ich 30die geneigte Gesinnung darin dankbar verehre. Zum ersten Bogen derselben pag. 3 und 4 wage ich anzuführen, daß nicht bloß auf der Universität, sondern schon auf der Schule die Geschichte und die Geographie, wie meine Lehrer: Falkmann, Möbius, Preuß, bezeugen müssen, mein 35Haupt- und Lieblings-Studium war, ich auch darin etwas prästirte. [GAA, Bd. V, S. 119] Actenstaub und Actendunst fürchte ich so wenig, daß ich allein in der letzten Zeit drei Bibliotheken (die Helwing-Hoffmannische, die Helwingische und die dem Auditor Krohn von seinem Vater nachgelassene) binnen wenigen Tagen geordnet 5habe, welches zugleich ein Zeugniß geben möchte, daß ich in den dazu erforderlichen Kenntnissen einiges Zutrauen genieße. Jetzt habe ich von dem General-Superintendenten Werth den Auftrag erhalten, morgen den 28. August eine meist 10theologische Büchersammlung zu verauctioniren, und dabei abermals Gelegenheit bekommen, den literarischen Nachlaß des verstorbenen General-Superintendenten von Cölln ordnen zu helfen. Den Advocatenstand zu verlassen trage ich herzliche Sehnsucht, 15habe auch stets an der Jurisprudenz nur die historischtheoretische Seite geliebt, und ging zum Theil deßhalb nach Leipzig und Berlin, wo, besonders unter Haubold, die historische Schule vorherrschte. Zum 2ten Bogen pag. 4 ect. der Vorstellung. 20 Diplomatik betreffend, wurde dieselbe in Leipzig nur als Nebensache der historischen und historisch-juristischen Collegien betrachtet, und kam, weil man sich auf den eignen Trieb der Fähigen von Seiten der Oberbehörden verließ, kein Collegium darüber zu Stande. Wie in Leipzig, steht es damit auch 25an den übrigen Universitäts-Orten und es ist jetzt bloß leeres Rühmen zu sagen, Diplomatik gehört zu haben. Eben durch die Praxis selbst, fundirt auf Geschichtskenntniß, läßt sich in diesem Felde heut zu Tage etwas erwerben, und wo sollte ich eine bessere Anleitung finden, als wenn ich das Glück 30hätte, unter den Augen des Herrn Archivraths zu arbeiten? Das ist mehr als Universität und gerade darum ist zu hoffen, daß der Fürst die geschehene Bitte, welche ihm einen tüchtigen Geschäftsmann im Gewährungsfalle bilden würde, unter solchen Auspicien gewährt. 35 Das Nächste, was im Ermangelungsfalle zu haben war, habe ich nicht versäumt: vor allem hörte ich (was sonst kein Student so früh thut, noch mit Nutzen thun kann,) schon im 2ten Halbjahr bei dem alten Professor Müller alt- und neudeutsches, lausitzisches und sächsisches Lehn- und Staatsrecht, 40in welchem durch natürliche Verbindung ein ganzer diplomatischer politischer Cursus vorkam, besonders ein fortwährender [GAA, Bd. V, S. 120] Bezug auf die alten Manuscripte zu Halle, Leipzig und Görlitz. Bogen 3 der Vorstellung. Bei dem Sohn des Hofraths Wenk (ebenfalls ein historischer 5Jurist) hörte ich viele Collegia. Geschichte im Allgemeinen und die der größern Staaten betreffend, ist wohl seit meinem 17ten Jahre keine Woche bis zur gegenwärtigen vergangen, wo ich nicht in verschiedenen Sprachen wenigstens drei bis vier Bände guter Schriften darüber studirt habe. Dies 10ist in der Stadt wohl eben nicht unbekannt, ich bin aber jedenfalls erbötig, das strengste Examen stündlich darüber gegen mich ergehen zulassen. Ja, wird es irgend bedungen, so kann ich hoffen, mich binnen Kurzem, oder sofort, zum s. g. Doctor, eigentlich Magister, 15der historischen Classe einer philosophischen Facultät erheben zu können, was ich bloß unterlassen habe, weil man einestheils den Doctorhut mit Recht hier nicht respectirt, anderntheils zu viel Kosten bevorstanden. Geschichtliche Collegien hörte ich bei: Pölitz, Kruse (in 20Leipzig, Verf. der Tabellen und Karten über das Mittelalter), Beck, Böttiger (jetzt nach Erlangen berufen), Wieland, Wilkens, fast aus allen Zeiträumen, — gestehe aber dabei, daß ich in diesen Collegien, für die Masse berechnet, nichts Neues erfuhr, und eben deßhalb mein Studium auf meinen Privatfleiß, 25dessen Früchte ich gern durch ein Exa- men documentiren würde, immermehr zurückziehen mußte. Mit dem Professor Raumer in Berlin (Verf. der Hohenstaufen) ward ich persönlich bekannt. Eben dieser Bekanntschaft mit dem Professor Wendt in 30Leipzig, unter welchem die Universitätsbibliothek mit ihren Manuscripten steht, mit dem Bürgermeister und Hofrath Blümner daselbst, der über die Rathsbibliothek gebietet, verdanke ich nicht den kleinsten Theil einer im Ganzen vielleicht unbedeutenden historisch-literarischen Bildung. 35 In Dresden vollends, wo die zahlreichste und manuscriptenvollste Büchersammlung Deutschland's sich befindet, hatte ich nicht nur die tägliche Gelegenheit, dieselbe zu benutzen, sondern erhielt im Gespräch mit dem Prof. Kruse (aus Halle), mit dem Hofrath Tieck, der viele Lebensjahre bloß dem 40Studio des Mittelalters widmete, auch mit v. d. Hagen (aus Breslau) die belehrendsten Ermunterungen. [GAA, Bd. V, S. 121] Die Lippische Geschichte betreffend muß ich dieselbe schon wegen vieler juristischer Fälle möglichst studiren, kann aber, bei Ermangelung vollständiger Schriften, wiederum eben nur unter Anleitung des Herrn Archivraths das Genügende lernen, 5er ist der Einzige, der dabei Aufschluß geben kann. Ueber meine juristischen Kenntnisse beziehe ich mich nöthigen Falls auf die hiesigen Obergerichte, besonders da ich glauben darf, daß die ersteren wirklich jährlich zunehmen. Auch glaube ich, ein Archivar, der kein guter Jurist wäre, ist nicht 10denkbar. Die Zeiten sind so, daß die Vereinigung eines Juristen, Historikers und sprachlich gebildeten Mannes, welche Dreiheit sich wohl nirgends besser als mit der Hülfe des Herrn Archivraths Clostermeier erwerben läßt, von Ersprießlichkeit seyn dürfte. 15 Alles dies ist nur zum beliebigen Ansehen hingesetzt, und es wird um Verzeihung gebeten, wenn der Ton hier und da zu stark scheinen sollte, was so leicht eintritt, wenn man von sich reden muß. | | | [Detmold, 27. August 1826.] | | Grabbe. |
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