Nr. 73, siehe GAA, Bd. V, S. 86 | 24. Juli 1823 | | Karl Köchy (Braunschweig) an Christian Dietrich Grabbe (Dresden) | Brief | | | | Vorangehend: keine | Nachfolgend: |
| Braunschweig, d. 24sten Juli 23. Liebster Grabbe, unsre Ideen haben eine Art von Kreislauf, wir kommen zu bestimmten Zeiten immer wieder auf die Personen zurück, die uns werth und interessant sind. So geht 15es mir auch mit Freunden und Bekannten; seit Ihrem letzten Briefe haben Gustorff und Baumeister an mich geschrieben, und ich habe ihnen geantwortet; ich fühle es jetzt, dass ich Sie schon zu lange vernachlässigt, und bitte Sie deshalb herzlich um Verzeihung. Meine Gemüthsstimmung, die seit kurzem 20immer unfreundlicher und dunkler wird, die beklemmende, treibende Nähe des Examens, und eine entsetzliche Leere, die ich in meinen müssigen Stunden empfinde, sind nicht wenig daran Schuld gewesen. Die Neckereien mit den Mädchen wollen nicht mehr aushalten, an einem lebendigen Umgang 25mit Gleichgesinnten fehlt es hier völlig, so bin ich auf meine Familie beschränkt. Meine Ältern scheuen keine Anstalten u Mühe, um mir das Leben angenehm zu machen; ich muss eine neue Bad- und Brunnenkur, zu gänzlicher Herstellung meiner Gesundheit gebrauchen, und zu meiner Erheiterung 30werden kleine Gesellschaften gebeten, Quartette in unserm Hause gemacht u.s.w. aber ich müsste lügen, wenn ich in allen dem eine Befriedigung fände. Ich erkenne es jetzt deutlich, dass ich anders als alle Menschen um mich bin, und was ich an meinen Freunden in Berlin, vorzüglich an Ihnen verloren. 35Solange man beisammen ist, sagt man es einander selten, wie man sich schätzt und liebt, und im Grunde ist es auch überflüssig, da das ganze Verhältniss von solchen Gefühlen gegründet und unterhalten wird; nach der Trennung [GAA, Bd. V, S. 87] möchte man sich es in jedem Augenblicke zurufen! Während ich noch im tiefen Sumpfe hier feststecke, denke ich daher schon an eine Reise nach Dresden, die mich wenigsten auf einige Wochen mit Ihnen in unsre vorige Verbindung 5bringt. Ich bin sogar oft so kühn, mehr zu hoffen, und Pläne dazu zu machen. Ihre Lage ist mir leider bis jetzt nur ein Räthsel, ich weiß nicht, was Sie in Dresden festhält, und also noch weniger, gegen welche Vortheile Sie Ihren gegenwärtigen Aufenthalt vertauschen möchten. Dass Sie nicht zur 10Bühne gehen, eben so wenig schreiben und herausgeben, verwickelt mich noch tiefer in Vermuthungen. Da Sie aber absichtlich schweigen, so frage ich nicht nach Ihrem Geheimniss. Ich glaube wohl, dass im Ablauf dieses Jahres hier bei der Bühne mehrere Stellen vakant werden, eine Empfehlung Tiecks 15würde Sie sogleich in Engagement und anständiges Gehalt bringen. Was wollen Sie thun? Soll ich mit Klingemann aufs neue unterhandeln? Der junge Fürst kommt im Oktober zur Regierung, es scheint mir nicht so unwahrscheinlich, bei den Mitteln, die Sie besitzen, um sich auf jede Weise auszuzeichnen, 20dass Sie schnell mit ihm bekannt würden, und von der Bühne in seine Dienste übergehen könnten. Freilich muss man erst seinen Charakter, seine Gesinnungen kennen lernen, um etwas Abzielendes zu unternehmen. Wie gern würde ich mich Ihnen zur Mittelsperson anbieten, wenn ich nur schon 25gewiss wäre, dass ich selbst mein Glück mache. Ich darf aber um so weniger unthätig sein; hören Sie also: ich will ein Stück schreiben, der Stoff muss aus der Landesgeschichte sein, und ein allegorischer Prolog kann dem Gedicht eine nahe Beziehung auf die Rückkehr und den Regierungsantritt des 30Fürsten geben. Ich bin jetzt leider mit den Vorbereitungen zum Examen gar zu beschäftigt, und es ist mir auf jeden Fall nützlich, wenn ich wieder zu Ihrem reichen wissenschaftlichen Archiv meine Zuflucht nehme, mich nicht allein mit Ihnen berathe, sondern auch gradezu Ihnen die ersten Vorschläge 35in Betreff des Stoffes überlasse; Heinrich der Löwe ist, wie Sie wissen, schon von Klingemann bearbeitet, u so sehr ich fühle, dass ich ihn tausendmal poetischer auffassen würde, ich will alle Rivalität vermeiden, weil der Theaterdirektor nun einmal die Schwelle für meine meisten Pläne ist. Ich 40traue Ihnen, ohne besondern Grund, Kenntniss unsrer Landesgeschichte zu, fehlt sie Ihnen, so lesen Sie nach, und wählen. [GAA, Bd. V, S. 88] Sie werden sich leicht die Reitemeirsche Chronik (die beste, so viel ich weiß) verschaffen. Der Plan unsrer Zeitschrift bleibe somit bis zum neuen Jahr verschoben, auch sie kann aber für uns eine gute Quelle werden. Im August melde ich 5mich zum Examen, und denke es gegen Ausgang Septembers bestanden zu haben. Die übrige Zeit bis zum 30sten October, da der Fürst kommt, ist groß genug, um das Gedicht fertig zu machen, wenn ich den Plan früh genug bekomme, so dass ich ihn in müssigen Stunden ausbilden, ordnen und vorbereiten 10kann. Eignes Studium der Landesgeschichte zu meinem Zwecke, ist wie Sie einsehen, nicht möglich binnen so enger Frist. Ich möchte Sie jetzt noch fast bitten, mir meine Gedichte zurückzuschicken, mit dem Buchhändler Meier scheint eine Übereinkunft nicht so unwahrscheinlich, zumal wenn ich Anderes 15drucken lasse, das Theilnahme erwarten lässt. Soll ich nun eine Abschrift von meiner Rosamunde anfertigen lassen, um sie Tieck mitzutheilen, so benachrichtigen Sie mich. Klingemann hat das Stück mit Beifall aufgenommen, und ist endlich bereit, es in die Scene zu setzen. Wundern Sie sich nicht, wenn auch 20Heines Trauerspiele hier zur Aufführung kommen, Müllners Recension hat zu mächtig auf die Direktionen gewirkt. Wenn Sie doch auch etwas für das Theater lieferten! wie leicht wäre der Erfolg hier, bei Tiecks Verwendung. Leider lese ich in den Blättern, dass Wolff die Regie abgegeben; ein Strich 25durch meine Rechnung; ich muss an ihn und an Herklots schreiben. Was sagen Sie zu Gustorffs Aufsatz im Gesellschafter? es ist eine alte gemeinschaftliche Arbeit, die ich beinahe schon vergessen hatte. Nun Adieu! liebster Grabbe, denken Sie recht bald an Ihren aufrichtigsten Freund 30K. Köchy. [Adresse:] Sr Wohlgeboren Herrn Ch. Grabbe zu Dresden große Schießgasse No 719. Frei. |
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