Nr. 71, siehe GAA, Bd. V, S. 83 | 03. Juni 1823 | | Christian Dietrich Grabbe (Dresden) an Ludwig Christian Gustorf (Berlin) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| 30 Gustorf! o! Gustorf! Erstens schreibe ich Dir einen Brief auf Briefpapier, zweitens tadle ich Dich, daß Du so lange geschwiegen hast, da ich mich in dieser Hinsicht mit meinen neuen Verhältnissen und dem Abschreiben meiner Stücke entschuldigen kann, drittens 35bitte ich Dich mir gleich nach Durchlesung des Briefs zu antworten, viertens wohnt der Choulant, wie ich höre, in Leipzig, fünftens bin ich aber auch zu faul gewesen, um in den Adreßcalender zu gucken, sechstens schreib mir, wie das Journal heißt, welches Deinen Aufsatz erhalten sollte, [GAA, Bd. V, S. 84] und siebentens schicke ich ihn Dir gleich auf Deine nächste Antwort, zum Dank für dieselbe. Neulich erhält Tieck, während ich just da bin, plötzlich ein Paquet von Berlin mit Heines sämmtlichen Werken, ohne 5ein Begleitungsschreiben; Tags darauf sagte Tieck, daß sich in den Gedichten etwas erlebtes zeige, aber die Tragödien gefielen ihm nicht. — Auch traf ich neulich den Benedict und gab mich ihm aus Spaß zu erkennen; er will mir schwerlich schaden; an den Gerüchten des vorigen Winters ist nichts 10wahres. — Wittwe Butzken? Die ist entweder sehr dick oder sehr hager, und noch dazu Original. Mauerstraße: Du, der Oeconom, Köchy, vier Beefsteaks, vier Champagnerflaschen und ich, gegenüber zwei hungrige Gelehrte, die nicht illuminirt hatten, nebenan das Gestöhne der ein Kind auskotzenden 15Wirthstochter u. s. w. — Sag' Robert, daß ich fest bin und bleibe, unerschütterlich fest; er möchte, in Deinem nächsten Briefe einige Worte mitschreiben. — Was macht Grimm? Grüß' ihn doch von mir. — Die Stich ist ja wieder aufgetreten; sie war die klügste von allen drei Betheiligten. — 20Ich wohne auch bei 'ner Wittwe, die ehemals eine Frauensperson gewesen zu seyn scheint, und fast wie mein Teufel mitten im Sommer noch immer einheitzen läßt; sie heißt Loose und trägt eine grüne Perrücke. — Hat Köchy an Euch geschrieben? Wo steckt der Oeconom? — Wie ich hier stehe, 25wie ich mich gemacht habe, ist curios; doch jetzo ist's mein fester Wille, mich allen mehr und mehr zu nähern; eigentlich werde ich zu human behandelt; aber was man von mir denkt, weiß ich nur so halb und halb. Rath' einmal! Schreib' mir's! — Bleib' in Berlin; vielleicht besuche ich Dich einmal. 30— Wohnst Du hinten oder vorn heraus? — Ich glaube zu wissen, weswegen Du mich in verschiedenen Schimmern siehst. — Tieck nennt mein sentimentales Thier allerliebst, obgleich er auch Manches daran aussetzt; er gesteht mir, daß man mich darin nicht wieder erkenne. — Hast Du Geld 35genug? Geh bisweilen um meinetwillen in den Don Juan und lies die Abentheuer des Barbiers Schnaps. Es ist eins der ersten und wahrsten Werke in der Welt. — Wenn Du mir nicht sogleich antwortest, und viele Witze und Facta erzählst, so werde ich wahnsinnig; Commentiren ist eine 40Deiner Hauptforcen. — Mir fehlt Jemand wie Du. — Der Zuschauer mit seiner Abtrittsbrille ist ja eingegangen! Was [GAA, Bd. V, S. 85] macht der vortreffliche Symansky nun? Ob er noch Freibillets erhält. — Ich beneide euch um die Sommergenüsse im charlottenburger Theater, besonders wenn ihr Mädtchen mitgenommen habt. — Was macht Dein Zahn? Meine sind auch 5wacklig und wollen auch ausfallen. Wie heißt der Titel von Heines Tragödien? Ich mochte Tieck nicht darum fragen. — Schreib! | | Dein | | | Grabbe. Adresse: | Dresden den 3 Ju[ni] | | große Schießg. nr. 719. | 1823. | | | [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Dr. med. Gustorf in Berlin, (leipziger Straße, nro 39, bei der Madam Butzken, parterre.) Durch Einlage. |
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