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Nr. 653, siehe GAA, Bd. VI, S. 283thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Carl Georg Schreiner (Düsseldorf)
Brief


  Handschrift Morgenbl. p. 738. Alles franz. Zeug wird gelobt. Am
Erdbeben von Messina soll also auch der Aetna Schuld seyn,
Franzosenhund, und Messina, Reggio es gespürt haben, Stromboli
25untergegangen seyn — Der Aetna erlös'te Sicilien, und
Stromboli existirt noch, was ex post Graf Tilly und sein eben
so dummer Recensent einsehen. — p. 751 die Lieder, interessant
für einen Menschen- oder Naturforscher, wegen ihrer
verschrobenen Bilder. — Wil. Alexis. Geldschreiberei. —
30p. 322 der Prinz Eugenius. Bon. (Ich weiß nicht, ob ich hier
recht citire, mag's dumme Zeug aber nicht wieder nachschlagen.)


  Litt. Unterh. Hätte Schiller bei seiner Maria Stuart
an ihre Verse: adieu plaisant pays de France, ect gedacht,
35sein Stück wäre schöner, und die Stuart keine Betschwester
geworden. — — Bulwer! Esel mögen Heu, Recensenten
mögen Esel. — Ich kann nicht weiter, denn Tildchen hat mir
meine Auszüge, zum Theil auf Lichtschnuppen geschrieben,

[GAA, Bd. VI, S. 284]

 


fortgeputzt, und 2 mal les' ich die Ziegerei nicht, die man
leider doch einmal lesen muß, um zu sehen, was die Glocke
der Zeit ist. Seyen Sie gesund.

                                
5                                

[Düsseldorf, zweite Septemberhälfte 1835.]

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Schreiner.
Mit 1 Mappe.

 


653.

H: 1 Bl. in 20; 1 S., Adresse auf S. 2.
F: GrA
T: C. G. Boerner: Sammlung des im Jahre 1881 verstorbenen
Herrn Carl Gustav Wenzel in Dresden [...] Versteigerung Sonnabend
den 6. November 1909. S. 18, unter Nr. 84.
D: An dem bei Nr 59 angegebenen Orte, S. 306.

S. 283, Z. 22—27: Morgenbl. p 738. Alles franz. Zeug wird
gelobt [usw.]: „Morgenblatt“ Nr 185—90. 4.—10. August: „Der
Aetna und der Montblanc. Erster Artikel.“ Der Aufsatz ist dem
Berichte entnommen, den Graf [Henri de] Tilly von seinen Besteigungen
des Aetna am 23. und 24. Mai und des Montblanc vom 8.
bis 10. Oktober 1834 gegeben hatte, und der im Jahre 1836 [bei
Pesche in Le Mans unter dem Titel: „Ascensions aux cimes de l'Etna
et du Mont-Blanc“] als Buch erschien. Er beginnt mit einer Vergleichung
der beiden Berge, in der es, S. 738, heißt: „Der Montblanc
ist freilich der Bergkönig in Europa, herrlich allerdings, aber
machtlos; der Aetna hingegen steht da wie ein furchtbarer Revolutionär,
der weithin in die Runde Alles erschüttert und stürzt, Städte
zertrümmert, wie Messina und Reggio, herrliche Landschaften unter
Asche oder Lava begräbt, dieses Glutgestein aber nach Jahrhunderten
wieder zu herrlicher, fruchtbarer Erde werden und gleichsam
zum Scherz Inseln entstehen und verschwinden läßt, wie Stromboli
und Sciacca.“
  Grabbe hat den Schluß der Stelle mißverstanden, indem sich das
„entstehen“ natürlich nur auf Stromboli, das „verschwinden“ nur auf
Sciacca bezieht. Dementsprechend werden in einer Anmerkung dazu
nur über die kurze Geschichte der Insel Sciacca noch einige Angaben
gemacht, während S. 746 bei der Beschreibung des Panoramans das
vulkanische Stromboli als „eines der Aetnakinder“ genannt wird.
Der von Grabbe getadelte Widerspruch besteht also in Wirklichkeit
nicht.
S. 283, Z. 27—29: p. 751 die Lieder, interessant [usw.]: Ebenda
Nr. 188. 7. August. S. 751—52: „Lieder eines Autodidakten. [Unterz.:]
Nic.[las] Müller.“ Das erste, „Die Nacht“ überschrieben, lautet
folgendermaßen:

[Bd. b6, S. 702]

 


      Der Tag mit gold'ner Leucht' ist schon entflohn
      Wohl über Land und Meere weit davon,
      Die Nacht eilt zitternd nach und rühret kaum
      Noch seines blauen Mantels rothen Saum;
      Die Abenddämm'rung weht um ihr Gesicht,
      Auf ihren Armen glänzt ein falbes Licht.
      Zu Füßen wallt ihr dunkeles Gewand,
      Den Mond, als Leuchte, nimmt sie in die Hand,
      Den Sternenschleier um das Haupt sie nimmt,
      Auf Bergen wandelt und durch Meere schwimmt,
      Dem Tag zu kommen auf die lichte Spur,
      Doch unerreichbar ferner flieht er nur.
      Doch Morgens früh, wenn sie ihn bald erreicht,
      Erröthet sie und wieder schnell entweicht,
      Von ihren Liebesthränen sind noch naß
      Die Blumen in den Gärten und das Gras.
      Der Tag erscheint; nichts wissend von der Pein,
      Saugt seine Leuchte ihre Thränen ein.
  Das Gedicht ist aufgenommen in die Sammlung der „Lieder von
Niclas Müller, Buchdrucker in der Offizin der I. G. Cotta'schen
Buchhandlung. Eingeleitet von Gustav Schwab“ (Stuttgart u. Tübingen,
Cotta 1837), und steht dort S. 58. Der Verfasser hat es für
diesen Neudruck leicht überarbeitet und vor allem den Vergleich
der Sonne mit einer goldnen Leuchte getilgt, der, an sich schon wenig
glücklich, doppelt anstößig um deswillen war, weil der Mond unter
dem gleichen Bilde erscheint. So heißt es jetzt in der ersten Zeile:
„mit goldnem Licht“; die letzte aber lautet nun:
„Saugt er als Liebestrank die Thränen ein“, eine Fassung, die
freilich kaum weniger Bedenken erregen muß als die ursprüngliche.
S. 283, Z. 29: Wil. Alexis. Geldschreiberei: Ebenda Nr 189—208.
8.—31. August: „Eine Parlamentswahl. Erzählung von W.[illibald]
Alexis.“ (In dessen „neuen Novellen“ Bd 2. Berlin, Duncker u. Humblot
1836. S. 277—374.) — Ein schroff ablehnendes Urteil über
diese Erzählung wird auch in den „Hallischen Jahrbüchern“ Jg. 1
(1838), Sp. 911—12 von Salgo gefällt, ein Pseudonym, hinter dem
sich vielleicht Friedrich Haase verbirgt. (Vgl. Nowack, „Schlesisches
Schriftsteller-Lexikon“ Bd 6, S. 41—42.)
S. 283, Z. 30—32: p 322 der Prinz Eugenius. Bon: „Literaturblatt“
Nr 81. 10. August. S. 321—23. Rezension der „Balladen und
Romanzen von Johann N.[epomuk] Vogl. Wien, Wallishauser,
1835.“ Der Referent tadelt an ihnen die Affektiertheit, die Sentimentalität
und die schwülstige Sprache und führt sodann auf S. 322
— Grabbe irrt also nicht — die ersten drei Zeilen des „Prinzen
Eugenius“ an als Beispiel für die „liebenswerthe Einfachheit“ des
Volksliedes gegen den Schwulst und Pomp, mit dem die neuen gelehrten

[Bd. b6, S. 703]

 


Stubendichter von den alten Taten sprächen. Grabbe mußte
durch dieses Lob besonders erfreut werden, denn er liebte dieses
Lied. Vgl. „Grabbe in Berichten seiner Zeitgenossen“ S. 138—39.
S. 283, Z. 33—36: Litt. Unterh. Hätte Schiller bei seiner
Maria Stuart [usw.]: „Blätter für literarische Unterhaltung“ Nr
229. 17. August. S. 947—48: Rezension der „Auserlesenen, echten
Volksgesänge der verschiedensten Völker mit Urtexten und deutscher
Uebersetzung, gesammelt in Verbindung mit A.[nton] W.[ilhelm]
von Zuccalmaglio, ein- und mehrstimmig eingerichtet, mit Begleitung
des Pianoforte und der Guitarre und herausgegeben von E. Baumstark.
Ersten Bandes erstes und zweites Heft. Darmstadt, Pabst.
1835.“ Von 163. Darin heißt es S. 948: „Das zweite Heft eröffnet
die in Frankreich noch allbekannte 'Charmante Gabrielle' von Heinrich
IV, ein Lied voll tiefer Empfindung. Nicht minder schön ist
Nr. 2. 'Adieu, plaisant pays de France, O ma patrie la plus cherie',
von der unglücklichen Maria Stuart bei ihrer Abreise von Frankreich
nach Schottland [1560] gedichtet und die tiefe Schwermuth
eines gepreßten Herzens ausdrückend.“ — In Wahrheit handelt es
sich um ein Chanson Pierre Jean de Béranger's, betitelt: „Adieux
de Marie Stuart“, dessen erste Strophe lautet:
      Adieu, charmant pays de France,
        Que je dois tant chérir!
      Berceau de mon heureuse enfance,
      Adieu! te quitter c'est mourir.
  Die Musik dazu stammt von Guillaume-Louis Bocquillon, genannt
Wilhem (1781—1842). (Vgl. „Oeuvres Complètes de P. J. de
Béranger“. T. l. Paris, Perrotin 1834. S. 191—94.)
S. 283, Z. 36 f.: Bulwer! Esel mögen Heu [usw.]: Ebenda Nr
228—32. 16.—20. August: „France social, literary, political, by
Henry Lytton Bulwer. [2 Bde.] London[, Bentley.] 1834.5*) ([Dazu
die Anmerkung:]) 5*Deutsch unter dem Titel: Frankreich in sozialer,
literarischer, politischer Beziehung. Aus dem Englischen übersetzt
von L.[ouis] Lax. Vier Bände. Aachen, Mayer. 1835. [...])“ Von
67. — Der Verfasser des Werkes ist der englische Diplomat und
Schriftsteller William Henry Lytton Earle Bulwer, seit März 1871
Lord Dalling (1801—1872), der ältere Bruder des bekannteren Romanschriftstellers.

S. 283, Z. 37: Tildchen: Wohl Mathilde Andrieß.