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Nr. 650, siehe GAA, Bd. VI, S. 279thumbnail
Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief


  Handschrift Hochgeschätztester Herr Canzleirath!

  Heute ist der Hochzeitstag meiner guten Aeltern. Sie feierten
alljährlich diesen Tag auch in Hinsicht auf mein Daseyn,
indem sie glaubten, Freude an mir erlebt zu haben, u. höchst
20beglückend ist die Erinnerung daran für mich — die Alleinstehende.


  Aber heute habe ich diesen Tag, nach ganz durchwachter
Nacht, mit Thränen begrüßen müssen, die mir der unsägliche
Schmerz über die harten Ausfälle gegen meinen würdigen
25Vater, welche der Aufsatz über den Eggesterstein enthällt,
den Sie gütigst mir gestern vorgelesen, u. welchen das nächste
Blatt des Lippischen Magazin's mittheilen soll, mir aus den
Augen gedrängt.

  Jedermann kann eine andere Ansicht von einer Sache doch
30ohne persönliche Verletzungen geltend zu machen sich bemühen.
Und ich begreife nicht, wie der von mir übrigens
so sehr verehrte Herr Rector Schierenberg, — den ich mich
sonst noch dankbar verpflichtet achte, indem derselbe einst
Gr.'s Schmähreden wiederholt Einhalt gebot — der den anspruchslosen
35u. bescheidenen Character meines Vaters nicht

[GAA, Bd. VI, S. 280]

 


einmal gekannt, sich bei dem Mittheilen seiner, von meinem
Vater abweichenden, Meinung über den Ursprung der Benennung
„Eggesterstein“ zu einer persönlichen Beleidigung hat
entschließen mögen.

5  Ich bitte Sie, hochgeschätztester Herr Canzleirath! den
kleinen unbedeutenden Aufsatz meines verewigten Vaters über
das Marienstift gegenwärtig nicht abdrucken zu
lassen, Handschrift denn ich glaube mich nunmehr an den Manen
meines theuren Vaters zu versündigen, wenn ich denselben in
10einer Druckschrift als Autor auftreten lasse, in welcher er
selbst als Autor von einem der Redactoren derselben so sehr
verletzt worden ist.

  Wann der Aufsatz des Herrn Rector's S. erschienen, werde
ich Sie, hochgeehrtester Herr Canzleirath! um Aufnahme einiger
15Worte gegen denselben in das gedachte L. Magazin gehorsamst
bitten u. dann in der Folge überlegen, ob ich Ihnen
von den historischen Forschungen meines Vaters für dasselbe
noch Mittheilungen machen darf.

  So sehr ich auch das Bittersüß des Vorworts der
20Recension über Grabbe's neue Dramen, welche das Lippische
Magazin von demselben Verfasser enthält, bis auf den letzten
Tropfen gekostet, so habe ich doch die Folgen so höchst
schmerzlich nicht empfunden: denn Grabbe lebt noch, u. wenn
er nicht als ein jammervolles, beklagenswerthes Subject öffentlich
25da stehen will, so kann er sich ja in demselben Blatte
durch Ironie —mit zwei Zeilen Dank für gezolltes Mitleid —
in ein anderes Licht stellen. Mein Vater aber ruht im Grabe
und er hat niemand zurückgelassen, als eine — schwache —
Tochter, die ihre Schwäche empfindet u. nur Thränen für ihn
30haben darf.

  Ich ertrage auch diesen Schmerz, wie alle meine Leiden, mit
christlicher Ergebung in mein trauriges Geschick. Nur allein
die Theilnahme guter Menschen und das Gefühl meiner eignen
guten Gesinnungen hält mich aufrecht im Gedränge der Welt.

35  Handschrift Daß ich Ihnen hier vorerst nur die beiden Aufsätze
wailand Pr.s v. Hoffmann zusende, wollen Sie gütigst mit
der vielleicht ganz grundlosen Besorgniß entschuldigen, daß
mir durch das abermalige Außerhändengeben eines der interessantesten
Aufsätze meines Vaters neue Leiden entstehen, indem
40derselbe, ganz ohne Ihre Absicht, allein weil sich derselbe in
Ihrem Zimmer befunden, in fremde Hände gerathen könnte,

[GAA, Bd. VI, S. 281]

 


welche mit der mühevollen Forschung meines Vaters als dem
Resultat der eignen Forschung wohl hervorgehen möchten.

  Tappe, dem mein Vater diesen Aufsatz einst mitgetheilt,
hat sich gegen ihn eines Plagiats schuldig gemacht, u. deswegen
5ist die Schrift „Wo Hermann den Varus schlug“ erschienen.


  Die neue Kränkung, die mir in nächster Woche durch das
L. Magazin werden soll, hat in abgewichener Nacht die
Erinnerung an die Vergangenheit mir lebendig vor Augen
10geführt, u. ich bin verzagt u. beklommen. Und Sie wollen
mir gütigst verzeihn.

  „Es muß das Herz an etwas hangen“ sagt ein altes bekanntes
Lied, das meinige hängt an den theuren Dahingeschiednen,
mit welchen ich den Verlust jedes Lebensglücks beweine. Und
15heiße Liebe für meinen Vater, dem ich kein Opfer meiner
Dankbarkeit mehr darzubringen vermag, hat mich zu diesen
Zeilen bewogen u. ich bitte Sie, hochgeschätztester Herr Canzleirath,
mich deshalb nicht zu verkennen.

  So bald es Ihre Zeit erlaubt bitte ich Sie recht innig mich
20gütigst durch Ihren Besuch zu erfreuen. Und ich verharre mit
ausgezeichneter Hochachtung
                                   
                                   
Detmold, den 5ten September    
  1835.    L Grabbe.