Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief
Vorangehend:
Nachfolgend:
Hochgeschätztester Herr Canzleirath! Heute ist der Hochzeitstag meiner guten Aeltern. Sie feierten alljährlich diesen Tag auch in Hinsicht auf mein Daseyn, indem sie glaubten, Freude an mir erlebt zu haben, u. höchst 20beglückend ist die Erinnerung daran für mich — die Alleinstehende.
Aber heute habe ich diesen Tag, nach ganz durchwachter Nacht, mit Thränen begrüßen müssen, die mir der unsägliche Schmerz über die harten Ausfälle gegen meinen würdigen 25Vater, welche der Aufsatz über den Eggesterstein enthällt, den Sie gütigst mir gestern vorgelesen, u. welchen das nächste Blatt des Lippischen Magazin's mittheilen soll, mir aus den Augen gedrängt. Jedermann kann eine andere Ansicht von einer Sache doch 30ohne persönliche Verletzungen geltend zu machen sich bemühen. Und ich begreife nicht, wie der von mir übrigens so sehr verehrte Herr Rector Schierenberg, — den ich mich sonst noch dankbar verpflichtet achte, indem derselbe einst Gr.'s Schmähreden wiederholt Einhalt gebot — der den anspruchslosen 35u. bescheidenen Character meines Vaters nicht
[GAA, Bd. VI, S. 280]
einmal gekannt, sich bei dem Mittheilen seiner, von meinem Vater abweichenden, Meinung über den Ursprung der Benennung „Eggesterstein“ zu einer persönlichen Beleidigung hat entschließen mögen. 5 Ich bitte Sie, hochgeschätztester Herr Canzleirath! den kleinen unbedeutenden Aufsatz meines verewigten Vaters über das Marienstift gegenwärtig nicht abdrucken zu lassen,denn ich glaube mich nunmehr an den Manen meines theuren Vaters zu versündigen, wenn ich denselben in 10einer Druckschrift als Autor auftreten lasse, in welcher er selbst als Autor von einem der Redactoren derselben so sehr verletzt worden ist. Wann der Aufsatz des Herrn Rector's S. erschienen, werde ich Sie, hochgeehrtester Herr Canzleirath! um Aufnahme einiger 15Worte gegen denselben in das gedachte L. Magazin gehorsamst bitten u. dann in der Folge überlegen, ob ich Ihnen von den historischen Forschungen meines Vaters für dasselbe noch Mittheilungen machen darf. So sehr ich auch das Bittersüß des Vorworts der 20Recension über Grabbe's neue Dramen, welche das Lippische Magazin von demselben Verfasser enthält, bis auf den letzten Tropfen gekostet, so habe ich doch die Folgen so höchst schmerzlich nicht empfunden: denn Grabbe lebt noch, u. wenn er nicht als ein jammervolles, beklagenswerthes Subject öffentlich 25da stehen will, so kann er sich ja in demselben Blatte durch Ironie —mit zwei Zeilen Dank für gezolltes Mitleid — in ein anderes Licht stellen. Mein Vater aber ruht im Grabe und er hat niemand zurückgelassen, als eine — schwache — Tochter, die ihre Schwäche empfindet u. nur Thränen für ihn 30haben darf. Ich ertrage auch diesen Schmerz, wie alle meine Leiden, mit christlicher Ergebung in mein trauriges Geschick. Nur allein die Theilnahme guter Menschen und das Gefühl meiner eignen guten Gesinnungen hält mich aufrecht im Gedränge der Welt. 35Daß ich Ihnen hier vorerst nur die beiden Aufsätze wailand Pr.s v. Hoffmann zusende, wollen Sie gütigst mit der vielleicht ganz grundlosen Besorgniß entschuldigen, daß mir durch das abermalige Außerhändengeben eines der interessantesten Aufsätze meines Vaters neue Leiden entstehen, indem 40derselbe, ganz ohne Ihre Absicht, allein weil sich derselbe in Ihrem Zimmer befunden, in fremde Hände gerathen könnte,
[GAA, Bd. VI, S. 281]
welche mit der mühevollen Forschung meines Vaters als dem Resultat der eignen Forschung wohl hervorgehen möchten. Tappe, dem mein Vater diesen Aufsatz einst mitgetheilt, hat sich gegen ihn eines Plagiats schuldig gemacht, u. deswegen 5ist die Schrift „Wo Hermann den Varus schlug“ erschienen.
Die neue Kränkung, die mir in nächster Woche durch das L. Magazin werden soll, hat in abgewichener Nacht die Erinnerung an die Vergangenheit mir lebendig vor Augen 10geführt, u. ich bin verzagt u. beklommen. Und Sie wollen mir gütigst verzeihn. „Es muß das Herz an etwas hangen“ sagt ein altes bekanntes Lied, das meinige hängt an den theuren Dahingeschiednen, mit welchen ich den Verlust jedes Lebensglücks beweine. Und 15heiße Liebe für meinen Vater, dem ich kein Opfer meiner Dankbarkeit mehr darzubringen vermag, hat mich zu diesen Zeilen bewogen u. ich bitte Sie, hochgeschätztester Herr Canzleirath, mich deshalb nicht zu verkennen. So bald es Ihre Zeit erlaubt bitte ich Sie recht innig mich 20gütigst durch Ihren Besuch zu erfreuen. Und ich verharre mit ausgezeichneter Hochachtung
Wilhelm Arnold Eschenburg — Obristleutnant Friedrich Adolph Böger — Christian von Meien — Fürstlich Lippische Regierung — Karl Friedrich Simon GroskopfNr. 456, 28. April 1834 — Heinrich Christian Albrecht ClemenNr. 489, 13. Dezember 1834
1835
Karl Leberecht Immermann — Carl Georg Schreiner — Louise Christiane Grabbe