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Nr. 634, siehe GAA, Bd. VI, S. 263nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief


Ordentliche Poesie gedeiht nur im Norden bis etwa 40 Grad
südlich. Da sieht man das Feuer, brennt aber nicht mit.

  Das hab' ich nirgend so gesehn und gelernt als bei der
Lecture des Nala, für dessen Mittheilung ich eben deshalb
5der Frau Gräfin Ahlefeldt tausendmal danke.

  Im Süden ist die Welt die Poesie, im Norden ist's der
Mensch. Dort wird er von der Welt oder Natur überwunden,
im Norden bekämpft und besiegt er sie.

  Dieß Schlinggewächs (Nala) hat mich immer während des
10Lesens an Ostindien selbst erinnert. Aber Hr. Wjasa, statt
drüber zu schweben, sitzt drin. Man merkt das gar an den
weitläuftigen, auch verschlungenen Namen.

  Auch zweifl' ich, ob Hr. Kosegarten Sanskrit recht kennt.
Er scheint aus Englischem übersetzt zu haben. Seine
15Radotagen über das Hindostanische sollen's verbergen,
machen's wahrscheinlich.

  Die alberne Sanskrit-Wuth mancher Gelehrten wird befördert
von England. Es will Leute haben, die es dort als Beamte
oder Missionaire, mit gehöriger Sprachkunde, anstellen kann.
20Es hat aber die Sache zu weit getrieben. Merken erst auch
140 Millionen Hindu, welchen Werth man in Europa auf sie
legt, empören sie sich.

  Doch, ich habe viel aus dem Buch gelernt. Und danke
nochmals.

25Düss. 8. Jul. 1835.Gehorsamst

Grabbe.

[Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath
Immermann. Hierbei 1 Buch.