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Nr. 541, siehe GAA, Bd. VI, S. 177thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief

Handschrift Lieber Petri

  Du hast mir auf mein letztes Schreiben noch nicht geantwortet,
10was mich ängstet. Thu' es bald. Hannibal ist jetzt
auch unter der Presse und der Censor hat nichts gestrichen.
Ein kleines Theilchen, nicht die bedeutendste Stelle, nur
von Hannb. Abschied aus Italien lautet jetzt
so, und siehe ob die Rheinluft sie nicht geläutert hat:

15Eine Höhe mit dichtem, dunklen Kastanienwald
bei Capua. Aus der Nähe das
Brausen des Meers.

  (Hannibal windet sich zu Pferde rasch durch das Gebüsch,
steigt an einem kleinen Grasfleck ab, und hängt die Zügel
20des Pferdes an einen niedrigen Baumstamm.)

Hannibal.

Gaul, solltest du verstehen, wie ein lang niedergedrückter
Schmerz sich lüftet, so wiehere es nicht aus!

  Handschrift (Er stürzt sich zur Erde und faßt sie mit beiden Händen:)

25  Italia! Herrliche, um die ich siebzehn Jahre warb, die ich
mit eignem und mit Consulblut geschmückt, — so muß ich
dich verlassen? Nichts bleibt mir von dir, die ich mitreißen
möchte über das Meer? Du, ganz anders als die finstere Carthago
und ihr trübrothes, heißes Firmament, du, prangend mit
30Helden, die nur von Ruhm und Eisen, nichts vom Gold
wissen, mit dem Glanz selbst, nicht durch Miethlinge errungener,
zum Capitol hinaufschimmernder Triumphe, nie erhabener
als da ich dich zu meinen Füßen wähnte und du dich
aufrichtetest zu dem Gewölb deines ewig blauenden Himmels —
35Ha, diese paar Gräser entreiß' ich dir, und berge sie am
Herzen, damit es daran schlage — Handschrift Mein jahrelanges Mißgeschick
entschuldige bei mir selbst einen Augenblick der
Empfindung.

[GAA, Bd. VI, S. 178]

 


  Rufen vom Meerufer (von allen Seiten:)
Die Taue strammer! — Seewasser drauf! — Noch zwanzig
Ruderer an die fünfte Bank hier! — Schnell, der Landwind
wird frisch — Dort naht das Heer zum Einschiffen — Flöße,
5Barken herbei — Hier 'ne Schiffbrücke — und da — die
Seegel bereit — Nach Süd-Süd die Vorderdecke! — Matrosen
an die Anker! Eile! Zur Heimath geht's! — Wo der Feldherr?

  Hannibal (laut:)

  Hier von der Höhe hat er euer Treiben beobachtet und
10findet es gut!

(Er reitet zum Ufer.)


  Der Raum erlaubt mir nicht, etwas Bedeutenderes Handschrift mitzu-
theilen, und da ich heute Morgen vom Buchhändler Schaub
eure Einladung zum Lipp. Magazin erhalte, ist mir während
15des Schreibens eingefallen, daß, wenn ihr wollt, ihr dieß
Bruchstück einsetzen könnt. Ich hoffe euch aber auch mit Lippischeren
Sachen wohl einmal dienen zu können, denn die
Hermannsschlacht ist binnen einigen Wochen fertig, wo möglich
mit einem Chor altdeutscher Burschen auf der Grotenburg
20als närrische Folie. — Obgleich ich meiner Mutter Geld
schicke, so viel ich kann, bitt' ich doch, Dich einmal in jedem
Monat zu erkundigen, ob sie etwas bedarf, und es ihr dann
zu geben. Den letzten Doppellouisd'or hat sie nach Ihrer
Antwort den 28. v. M. erhalten. Meine Frau treibt's, während
25ich das Honorar für den Hermann ihr zur Hälfte in Gedanken
bestimmt hatte, so arg, daß ihr letzter Brief dem Hermann
gewiß schadet. Hier werde ich zum Theil von den vornehmsten
Ständen über Verdienst geschätzt, und, wo ich von meinen
albernen Launen, die aus meiner früheren Erziehung und
30Stellung entspringen, noch etwas habe, mit Nachsicht behandelt
wie ein Kind, daß ich mich schäme und mich bessere.
Düss. am Tage der    Dein
Schlacht bei Laon, an. 1814.    Grabbe.
[9. u. 10. März 1835.]