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Nr. 537, siehe GAA, Bd. VI, S. 171thumbnail
Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf)
Brief


20Handschrift nr. 3. Detmold, den 4ten März 1835.

          Lieber Grabbe!

  Der 6te März, der Tag der uns einst vereinte, mit dem
ich auch zugleich das Fest unserer Aussöhnung feiren zu dürfen
wähnte, ist nahe gekommen, aber die sehnsuchtsvoll von Dir
25erwartete Erklärung, ist immer noch nicht da!

  Was Dich bisher wohl vom Schreiben zurückgehalten haben
mag? beunruhigt mich beständig. Bald fürcht' ich, es könnte
Krankheit seyn, bald, Du möchtest meiner heißen Bitte nicht
entsprechen wollen, und endlich besorge ich, Du könntest
30meinen Brief vom 19ten Januar d. J. wohl gar nicht einmal
empfangen haben. Und so ford're ich Dich denn bei
der nahen Wiederkehr unseres einst froh gefeierten Hochzeitstages
auf, mir Deinen Entschluß nicht länger vorzuenthalten!

  Mit der Erinnerung an die Vergangenheit wie Du, lieber
35Grabbe! einst nach dem Hinscheiden meiner englischen Mutter,
mit der ich das letzte Erdenglück verlohren, in tiefster Bewegung
oft wiederholt vor mir standest u. sprachst: „ach,

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sie reines Gold! seyn sie gut, seyn sie
edel, machen sie aus einem Unglücklichen
einen Glücklichen! — Ach sie Gute, Liebe! Die Ehe
„ist das einzige Glück, die einzige Wonne des Lebens! — Wir
5„sind beide unglücklich, lassen sie uns, uns Unglückliche, ver-
„einigen! Seyn sie Gute, eins und fest mit mir verbunden für
„das Erdenleben!“ p p. p p. bitte ich Dich mit heißen Thränen,
die wie Blutstropfen mir vom Herzen durch die Augen dringen,
laß doch ein besseres Verhältniß zwischen uns eintreten,
10unterzeichne eine von den beiden Einlagen hier, welche Du
willst, und sende mir dieselbe unterzeichnet zurück.

  Mit Wehmuth denke ich, wie Du einst, wenn Du geglaubt
mich betrübt zu haben, mir in Deinem Leidwesen darüber die
schönsten und seltensten Blumen, als Fürsprecher, in solcher
15Menge gesendet, daß ich sie selbst nicht einmal alle mehr
beherbergen konnte. Mit den Jahren unserer Ehe sind nun
diese Blumen alle nach einander abgestorben, bis auf eine
immergrüne Myrthe und eine immer wieder blühende Rose.
Diese Blumen, die Deine Zuneigung zur Aussöhnung mir einst
20dargeboten, lassen mich täglich eine bessere Zeit hoffen u.
sprechen, wenn mich die Traurigkeit niedergebeugt, mein
krankes Herz zur Ruhe.

  Ach, lieber Grabbe, denke daran, wie es einst war! — — —

  Zürne nicht, liebster Grabbe, wenn ich zu unserm gemeinsamen
25Besten meine heiße Bitte um Sicherstellung meines Vermögens
noch einmal wiederhole. Du weißt was ich bereits
schon eingebüßt, und die Gefahr, die uns gemeinsam droht,
muß Dir nothwendig vorleuchten. Die Amtseinnahme Handschrift hat
aufgehört; Du bist kränklich, u. wenn man sich nicht wohl
30fühlt, kann man auch nicht viel erwerben u. man bedarf in
kranken Tagen auch mehr, als in gesunden.

  Als Du nach Niederlegung Deines Amtes abgereißt, ohne
auf meine Bitte die Gütergemeinschaft mit mir ausgeschlossen
zu haben, meinte man ich müßte nothwendig nach Ablauf von
35drei Monaten bei der Obrigkeit um die Vermögens-Verwaltung
nachsuchen. Der reine Wunsch aber mich gütlich mit
Dir zu vergleichen, lies mich Hrn. Ziegler, dem Du die Führung
Deiner Angelegenheiten übertragen, im Dec. v. J. um
seine Vermittelung ersuchen, da Du mich in Deinem ersten
40Antwortschreiben auf meinen gewiß freundlichen Brief vom
13. Nov. v. J. mit meinem Anliegen zurückgeschreckt. Ob,

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und wie, nun Hr. Z. meiner Bitte nachgekommen, habe ich
wenigstens bis heute noch nicht erfahren.

  Es war nämlich zu meinem Schmerz Dein Schreiben vom
9. Dec. v. J. in einer mir nicht günstigen Stimmung verfaßt.
5Zu Deinem Verbot, überhaupt zu dem, was Du darinn zürnend
sagst, habe ich Dir keine Veranlassung gegeben. Ohne
Zweifel hast Du bei Deiner Reizbarkeit mein Schreiben vom
13. Nov. v. J. nicht gehörig gelesen. Ich richtete in demselben
allein die Frage an Dich,: wo sich denn wohl die Obligationen,
10im Betrage von fast 900 Thlr. befänden? die Du zuletzt in
Händen gehabt, wovon Du bei Deiner Abreise gesagt: „sie
wären im Schranke verwahrt.“ Der Schrank aber, so wie
alle Beschlüsse in Deiner Stube waren ausgeleert, und ich
vermißte darinn außerdem sonst noch mehrere mir theure
15Andenken. Es fand sich nicht einmal mehr das Geschirr darinn,
das Du vor der Abreise noch gebraucht, selbst nicht einmal
eine Schreibfeder. Und darauf glaubte ich Dich aufmerksam
machen zu müssen.

  Als man mir nun gesagt: „wenn die Obligationen entwendet
20seyn sollten, müßte ich sie mortificiren lassen“, achtete
ich mich zu der Anfrage verpflichtet. Dein Schreiben paßt nun
freilich nicht auf meine schlichte Anfrage. Sachen, wie Du
meinst, sind demnach von Dir nicht zurückgeblieben; allein
einige Wäsche habe ich von Dir in Verwahrung.

25  Zu meiner Freude empfing ich nun aber Dein, nunmehr
in besserer Stimmung geschriebenes, Briefchen vom 8ten Januar,
erst am 16. desselben Monats. Du sprichst indeß auch
hierinn wieder in Folge Deiner so regen Phantasie von Dingen,
von denen ich Nichts weiß; jedoch geben mir einige
30Aeußerungen, die ich nicht veranlaßt, die richtige Antwort
auf meine Anfrage, und ich weiß nun, was ich wissen mußte.
Du zürntest also, weil Du geglaubt, ich hätte das vermuthet,
oder gar gewußt; Du warst aber im Irrthum.

  Erfreut über Deine bessere Stimmung erneute ich nun schon
35am 19. Januar aus der Fülle des Herzens mein heisses Anliegen
und sehnsuchtsvoll harre ich seitdem täglich auf Deinen
Entschluß.

  Handschrift Lieber Grabbe, es war einmal eine Zeit wo Du mich sehr
geliebt; wenn sich auch nur noch ein Hunderttheilchen von
40der alten Liebe in Deiner Brust für mich regt, so bitte ich
Dich meine beiden Schreiben vom 13. Nov. v. J., und vom

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19. Januar noch einmal zu lesen, u. zu erwägen, daß unser
gemeinsames Bestes dasjenige jetzt heischt, was ich Dir vorgestellt.
Liebster Grabbe, erinnere Dich, wie oft Du Dich
verheißen, mich glücklich machen zu wollen; denke doch einmal
5an die Folgen Deiner ferneren Weigerung! — — — —.

  Uebertrage mir freiwillig die Verwaltung des Gemeinguts,
oder schließe die Gütergemeinschaft aus, gegen mein Dir bekanntes
Versprechen, wonach ich Dir so fort durch ein Testament
die Einkunft von meinem Vermögen lebenslang zusichern
10werde, falls ich vor Dir versterben sollte. Auch wirst
Du wissen, daß Dir die Nutznießung meines Vermögens mit
mir vereint geblieben, wenn auch gleich die Gütergemeinschaft
ausgeschlossen.

  Wähle diejenige von den beiden Einlagen hier, welche die
15bessere Dir zu seyn scheint, u. sende mir solche dann mit
Deinem Namen: Dietrich Christian Grabbe, unterzeichnet
zurück. Und Dein Herz wird Dich lohnen, Du wirst froher
und glücklicher werden mit dem Bewußtseyn die Sorgen von
meinem Herzen genommen zu haben.

20  In vergangener Woche konnte ich den Rest der alten, von
Papa noch vorhandenen, Bücher sehr gut in das Ausland
verkaufen, ebenso wie seine Manuscripte, ich habe aber den
Vorschlag vorerst abgewiesen, weil ich nicht weiß, ob Du
nicht selbst noch einmal behuf Deiner eignen Schriftstellerei,
25davon Gebrauch machen willst. Ich bitte Dich, Dich hierüber
auszusprechen. (Einige Landcharten habe ich indeß verkauft.)

  Auch habe ich vor Kurzem etwas Höchstinteressantes in
Erfahrung gebracht. Ach, hätte das der gute Papa noch erlebt!
Sein lippischer Stammbaum könnte jetzt die Vollkommenheit
30erhalten, wenn ich einige hundert Thaler zu entbehren hätte.
Die alten Lipp. Urkunden, welche während des 30jährigen
Krieges vom Stift Cappel weggekommen, sind nicht, wie man
bisher vorgegeben, im Rheinstrohm nach dem J. 1803 verunglückt,
sondern wirklich noch vorhanden, u. ich weiß
35jetzt, wo sie sind. Papa's Vermuthungen in Handschrift Betreff derselben,
waren also wohl gegründet.

  Nun, lieber Grabbe, bitte ich Dich noch einmal von ganzen
Herzen, erlöse mich von den Sorgen; denke an die Vergangenheit,
an Dein stets wiederholtes Versprechen, und an mein
40gegenwärtiges Alleinstehen im Gedränge der Umgebung. Wird
mir durch Willfahrung meines Wunsches die Ueberzeugung,

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daß Du mir noch etwas gut bist, so werde ich Dir nächstens
recht viel schreiben.

  Gieb mir Nachricht von Deinem Befinden und von Deiner
jetzigen Lebensweise. Es sind heute seit Deiner Entfernung
55 Monate verflossen und nahe liegt die Entscheidung, ob ich
mich nennen darf für das Erdenleben
                                   
  Der alte Begemann ist gestorben.    Lucie.