Nr. 535, siehe GAA, Bd. VI, S. 170 | 26. Februar 1835 | ![nothumbnail](/icondir/noimageavl.gif) | Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf) | Brief | | | | Vorangehend: ![](/icondir/lettericon.png) | Nachfolgend: ![](/icondir/lettericon.png) |
| G. P. M. Mit Extract und Lecture der Theatercommunicata bin ich sicher bis spätestens morgen früh 10 Uhr zu Ende, und Sie erhalten dann diese mir schon an sich interessanten Mittheilungen 5zurück. Und dann habe ich den Stoff erobert, aus dem ich die Abhandl. bauen kann, und für Runkel, an den ich schreiben will, sofort etwas von den Abhaustücken beizu abwerfen will. Ob Ihnen die Vorstellung der Stella gefallen hat, weiß ich nicht, denn Sie sind bei solchen Dingen äußerst delicat, 10und, da Sie selbst Alles leiten, sehen Sie die Fehler eher. Ich aber muß sagen, ich bin freudigst überrascht worden, und, ich wette, hätte Tieck sie gesehen, er hätte ziemlich trüb an die Dresdner Halbheiten gedacht. Vor allem war es gut, daß das Stück in 3 Acte zusammengezogen, und, ich meine, auch 15viel darin gekürzt war. Die Empfindeleijauche, welche es mir kaum möglich gemacht hat, je das Original anders als unter großen Pausen zu lesen, war in ihren gehörigen Rinnsaal gebracht, und das echt Goethische, das Fein-Natürliche der Charactere trat frisch hervor. Goethe hatte den Sentimentalitätston 20durch Werther verherrlicht, und da er sich oft nach der Zeit gerichtet hat, wollte er die ossianisch-wertherdeutschhausväterliche Stimmung benutzen, und klimperte mit einem fünfsaitigen Drama nach — es ist seine Cabale und Liebe, wie sein Clavigo Schillers Fiesko. Die Versing, die 25Limb., die und der Schenk, alle vier vortrefflich. Ich werde den Beweis bald übernehmen. Selbst daß die Limbach nicht so poetischen Flugs ist wie die Vers., nützte ihr hier nur so mehr. Diese Rolle, wie auch Goethe unwillkührlich gewollt, wurde von der Stern- und Mondlichtelei weggezogen und an's 30Herz gelegt. Das Publicum ward auch gespannt: es saß eine Mamsell, oder was sie ist, vor mir, die in der Gegend immer sitzt und sonst gern sich umsieht und parlirt. Gestern rührte sie nicht ihr caput. Wirkt das Tüchtige erst auf Thiere, daß sie vernünftig werden, so ist es stark — gut. 35 Düss. 26. Febr. 35.Gehorsamst Grabbe. Verzeihen Sie die dicken Federstriche. Ob auch meine Augen stündlich sich bessern, ich schreibe in den ersten Morgenstunden, wo sie eben aus der Nacht kommen, doch erst hinter 40verhängtem Fenster. [GAA, Bd. VI, S. 171] |
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535.
H: Doppelbl. in 40; 3 S.
F: JW Bl. 87. 88. (73.)
D: TdrO S. LXXVI—LXXVII, als Nr 26.
S. 170, Z. 8: die Vorstellung der Stella: Die durch eine Symphonie
Beethovens eingeleitete Mustervorstellung hatte am 25. Februar
stattgefunden. Die Hauptrollen waren folgendermaßen besetzt: Stella:
Mad. Lauber-Versing; Cecilie, anfangs Madame Sommer: Mad.
Limbach; Fernando: Herr Schenk; Lucie: Mad. Schenk.
S. 170, Z. 13—15: daß das Stück in 3 Acte zusmmengezogen,
und, wie ich meine, auch viel darin gekürzt war: Immermann hatte
das Schauspiel in drei Akte zusammengezogen, indem er aus dem
ersten und zweiten des Originals seinen ersten, aus dem dritten und
vierten seinen zweiten gemacht hatte. Im letzten Akte hatte er die
Erzählung von dem Grafen mit den beiden Gattinnen gestrichen.
Dadurch, so schreibt er, habe der Effekt sehr gewonnen, „da die
Stimmung durch die wenigeren Pausen mehr bei der Sache zusammengehalten
wurde“. „Der Dramaturg hatte diese Tragödie mit
großer Sorgfalt vorbereitet, eine Vorlesung, zwei Leseproben und
vier Theaterproben davon abgehalten. Ein Meisterstück war, was
die Versing lieferte; es war wirklich das von Liebe durchglühte,
durchzitterte Weib. Das Ensemble, einzig und allein das Werk Immermanns,
war vortrefflich und erinnerte an die guten Tage des
Hamburger Schauspiels. Jeder stand an seinem Platze und that redlich
und natürlich seine Pflicht; keiner suchte sich vorzudrängen und
durch Uebertreibung und Künstelei auf Effekt hinzuarbeiten. Daher
verfehlte auch die unbedeutendste Stelle ihre Wirkung nicht, und
die Zuschauer hatten in jeder Hinsicht einen reinen und unverkümmerten
Genuß.“ (Fellner S. 360—61.)