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Nr. 507, siehe GAA, Bd. VI, S. 137nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

                    G. P. M.

  Verzeih'n Sie die Anlage, ich mußte doch einmal an Sie
schreiben, wegen des Ranke. Geht's, hätt' ich schweigends ihn

[GAA, Bd. VI, S. 138]

 


gern noch ein paar Tage, geht's nicht, so könnte der Billeteinnehmer
links (vom Eingang des Theaters gerechnet) am
Parterr, der mein Freibill. kennt, mir Bescheid sagen. — Die
Anlage ist bis auf den Lucifer der memory nur Scherz; Sie
5können sie ja wegwerfen. Solche Nebensachen schaden meinem
immer fortgehenden Hannibal nicht, stärken ihn vielmehr,
denn sie sind Erholungen, und ersetzen mir die Gesellschaften.
Auch die Hamlt Ubs. steht nicht still, und heute hoff' ich im
Theater eine neue Säule, vielleicht die prächtigste, zu meinem
10Rec. Bau zu finden. Denn, ich glaube, das Leb.[en] e.[in]
Tr.[aum] ist uns Deutschen schwerer und fremder als der
Haml., und, Sie ließen mich ahnen, daß Sie es kühn dichterisch
in die Scene setzen lassen. Ihre Aeußerung, daß Sie von den
Menschen so wenig im Ganzen halten, hat mich beschäftigt und
15frappirt, denn Sie haben ja so manchen tüchtigen, guten und
großen Character geschildert. Nein, das Bessere wiegt über;
es kämpft in der ganzen Geschichte, und hat bis jetzt immer
zuletzt gesiegt. Die kleinen Würmer, die kleinen Sorgen, Leiden
und Freuden, die Noth, der zum Existiren einmal nöthige
20Eigennutz, erklären mir fast alle Schlechtigkeit. Der Schlechte
wird, wenn er jene Aeußerlichkeiten überwunden hat, grade
mit der Schlechtigkeit, die er deshalb an der Brust ernährt hat,
am meisten zu kämpfen haben, und wahrscheinlich dann auch
über sie siegen. Verzeihen Sie diesen Brei; er hat aber im
25Kessel Gründe: ich kenne Einen, der auf ein Billet von mir
für mich in den Tod ginge, so wie ich für ihn, ohne irgend
ein renommirendes Interesse und dgl. dafür zu haben, und
ich glaube, Sie grade sind irgend einem Jugendfreunde auch
so. Aber rechte Freundschaft wird so wenig bemerkt, weil sie
30schüchtern ist, und kaum Nutzen daraus zu ziehen wagt. —
Uechtriz wird wohl mit seinem Thracier in Byzanz seyn, und
nach einer Porphyrogeneta suchen, denn daß Spartacus vermuthlich
ein ganz gemeiner Thracier war, glaubt er schwerlich:
eher, daß er, unter der Hand, von einer femina illustris (die
35haben's ja frei nach Justinian, ein eigener Vorzug!) in Constantinopel
oder in Thracien abortirt w[or]den. Meine Magd
kann ihn in der Bennethei [Rest abgerissen] wenigstens noch
nicht finden.

Dssld. 14 [richtig: 18]. Jan. 1834 [richtig: 1835].

40                                
Grabbe.

[GAA, Bd. VI, S. 139]

 


[Anlage.]

        „And never was a greater woe
        As that of Juliet and their Romeo.“
            Uebersetzungsvariationen.
5        Und nimmer war ein größer Weh
        Als Romeos und seiner Julie.
        Und nimmer gab's ein schlimmres Loos
        Als Julias und ihres Romeo's.

        Und nimmer größer Weh geschah
10        Als das des Romeo und der Julia.

        Und nimmer groß ein Wehe so
        Als das von Julia und Romeo.

            (Á la Wieland:)
        Und nimmer ist solch Leid passirt
15        Als an den Zwei'n gesehen wird.

        Und nimmer ein unseeliger Unglück
        Als Julias und Romeos Geschick.

            (Wohl à la Benda:)
        Ein größ'res Wehe gab's noch nie
20        Als das der beiden Todten hie.

        Und wo gab es ein größres Weh jemals
        Als dieses Romeo's und Julia's.

            A la Adrian:
        Ein größres Weh' ist nie geseh'n
25        Als das an Romeo'n und Julien.

[GAA, Bd. VI, S. 140]

 


            Oder à la Adrian et Voß:
        Ein größeres Unglück ist nie geschehn
        Als dieß an Romeo und sein'm Julchen.


A la Meyer in Hildburghausen und außer Newyork:

5        Ein furchtbarer, schrecklicher Geschick
        Ist wohl, so lang der Erdball rollt,
        Der Sonn' ein brausend Loblied zollt,
        Noch nie geseh'n mit düstrem Blick,
        Als Julia die hehre, schlank gewachsen,
10        Und Romeo mit dem Haare, golden, flachsen,
        Hier todt aus Liebe hingestreckt,
        Er qualvoll aufgezehrt vom Arsenik,
        Sie wunderschön dahingereckt,
        Das prächt'ge Kleid mit Blut befleckt —
15        O ungeheuer! Doch: das ist des Schicksals
                                Loos:
        Zu großes Glück: es hat Unglück im
                                

„Man muß Shakspeares Geist frei wiedergeben. Das Bändchen
204 Slbgr. Bei uns ist auch noch verlegt: „Jahre der Andacht“
(indem die vielgelesenen Stunden den Frommen doch zu kurz
sind) ohne Katholicismus noch Protestantismus, also jedem
Leser bequem, und wär's ein Hottentott, das Bändchen, fein
brosch., mit echten Stahlstichen des Heilandes, seiner Mutter,
25der Apostel, äußerst billig a zu 6½ Slbgr.“

Das pp Institut zu pp.

Ich möchte aber folgende zwei Verse des Lord Byron, der
freilich kein Shakspeare ist, aber die folgende Passage mir
in's Herz geflammt hat, ohne Anspielung oder Ironie gut
30übersetzt seh'n oder übersetzen können:

        And where I ever turn'd my eye,
        She rose the morning-star of memory.

Ich meine so heißen sie verbotenus. Ich versuchte:

        „Und wo ich nur meim Aug' hinwandt',
35        Erinnrungs Morgenstern Sie stand.“

(Wir schreiben das Sie groß, der Engl. merkwürdig, nur sein
Ich.)

[GAA, Bd. VI, S. 141]

 


  Oder:

      „Und schaut' mein Aug nah oder fern,
      Auf stieg Sie, der Erinnrung Morgenstern.“
      ect.,

5denn das „rose“, das „Emporsteigen“ ist die Schwierigkeit
und ich möchte wissen, ob Adrian sie gelös't. Ich kann's nicht.

                                

  [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath
Immermann.