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Nr. 495, siehe GAA, Bd. VI, S. 122nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

                    Hochgeehrter Freund!

30Anbei eine Probe der Hamletsübersetzung, so wie sub pet.
rem. Ihr englisches Original zur Vergleichung. Ich habe gar
keine Hülfsquellen, keine Uebersetzung und kein Lexicon,
und keinen Commentator gehabt, also verzeihen Sie wohl,
fände sich ein Schnitzer. Die Engländer u. Franzosen sind
35mit ihren Versen gut daran, und sind blind, daß sie sich
fürchten es mit Hexametern zu versuchen — der Franzose
braucht ja nur zu accentuiren, die kurze Syllbe lang, die
lange kurz (in den Classikern wie oft fille, père) und der
Engländer, seinem Wesen ziemlich gemäß, nur zu verschlukken,

[GAA, Bd. VI, S. 123]

 


wo ihm was im Wege steht, und das hat der Stratforder
redlich benutzt. Ich habe in diesem Probestück seine
Verse von 3, 4, 6½ ect Füßen, redlich nachgebildet, aber
man kann manche mit drei-doppelten Rhytmus lesen. Der
5alte Voß hat doch recht, wenn er manche Shakspearische Scene,
in Prosa in den Ausgaben, wieder in Verse stiefelt, z. B. ist
nicht eben das von mir übersetzte Gespr. zwischen Haml.
u. Ophelia fast ganz Vers, contra Schlegel, Blair und Johnson?
— Auch, so viel es ging, hab ich Williams Interpunction
10beibehalten, er ist groß genug, um bei ihm auch oft im
Komma eine Lanze zu wittern. Bisweilen sind, und ich
glaube zum Theil mit Vorsatz, die Verse doppelsinnig (er
läßt die Tugend von der Ehrbarkeit, die Ehrbarkeit, wie es
scheint, von der Tugend umwandeln) und ich habe mich
15bemüht, ihm die beiden Masken zu lassen. Im Monolog be
or not p hat William (par excellence) in der first edition
den Character, die Aufgeregtheit des Haml. besser spielen
lassen wie in der second. Es geht in der first durcheinander,
so daß einmal hope für Furcht dasteht. Ich glaube aber,
20das Wort mag zu Shsprs Zeit auch wohl das Gegentheil
bedeutet haben, wie so manches Wort in vielen Sprachen,
z. B. „ahnen“ bei uns, sacer bei den Römern. Ich überlasse
Ihnen, ob ich mit einer Note auch hope als Hoffnung übersetze,
denn ohne Noten wird's (soll die Uebersetzung ganz
25interessant werden) schwerlich abgeh'n. — Die Abkürzung
des Namens der Ophelia in den Rubriken, Ofel, einmal gar
Ofe, hab' ich ganz so stehen lassen, der Klang erinnert zwar
an ovis und Ofen, macht mir aber das Mädchen lieber als
das Prunkwort Ophelia. — Die englische Sprache hat fast
30nur männliche Endsilben im Vers; wir castriren aber die
deutsche, und geben den Sinn nicht wieder, handeln wir
nicht wie Schlegel, und sprechen wir das Fremde so mit
dem Mund wie er uns gewachsen ist. — Mit „Earnest vowes
of lofe“ hat Wildhelm mir auch einen bösen Streich gespielt,
35da er eine Welt mit ihren Tücken in sich hat — Earnest,
heißt bei ihm, und zwar so viel ich mich erinnere, im Macbeth
auch „Handgeld“ — ich glaube aber es mit
ernst“ hier übersetzen zu müssen, — Ofel wird doch
von keinem Liebeshandgeld sprechen wollen, und ist's
40ein ihr vom Dichter zugeschobenes Wortspiel, wüßt' ich nicht,
wie man's nachmachen sollte. Hieß es Handgeld, hätte Tieck

[GAA, Bd. VI, S. 124]

 


verbotenus recht, so wie ich auch glaube, daß er im Geist
des Stücks bei der Ofe überhaupt recht hat. — Merkwürdig
ist es auch, und beim Uebersetzen erst fiel's mir auf, daß ein
Engländer Geschenke zum Andenken „Genommenes“ und
5wir solche „Gaben“ nennen (tokens, Gaben). —

  Können Sie mir nicht bis morgen Mittag einen Abschreiber
für Aschenbrödel auf meine Kosten zuweisen? Und dann:
haben Sie Herrmanns Metrik, und könnt' ich sie nicht auf
2 Tage bekommen? Dito den ersten Theil des Landrechts?
10Und endlich auch mir etwas zum Abschreiben, aber mit
8 Tagen Frist, und wenn ich Keinem dadurch sein Verdienst
nehme. Ich will lieber mit ihm nach seinem Belieben theilen,
denn nach den Instituten, seh' ich, gehört's auch dem Souffleur.
  Düss. 1 Jan. 1835.    Gehorsamst
   Grabbe

Noch eins als Postscript: ich muß mich rechtfertigen, warum
ich nicht wie die Anderen „My Lord“ mit „mein Herr“
übersetzte. „Mein Herr“ bedeutet jeden engl. Gentleman,
Lord ist aber ein unübersetzbares Wort, welches man annehmen
20muß wie die fremden Worte: „Kaiser, Consul, Prätor“
pp. Wir Deutschen um so eher, da nach Grimms Grammatik
das Wort aus dem Niederdeutschen stammt: aus Laif (Laib,
Brod) und Ort (Herr.), ergo Brodherr. Sind Sie anderer
Meinung, füg' ich mich gern. Indeß mir ist der Lord wahrhaftig
25lieb.
      Eod.                                

Williams Schreibfehler oder Schreibvorzüge hab' ich auch
nachgeahmt, z. B. Sterben (Die) ß, leben klein.Id.

  Güldenstein und Rosenschlau durft' ich eben nicht wie
30gewöhnlich mit Güldenstern und Rosenkranz übersetzen, wenn
die alte Ausgabe die alte bleiben sollte mit ihren „stone“ rosn
und craft. Auch wohl eine Note beim Druck dabei. Shaksp.
hat ohne Zweifel früher mit den ss. pp die offenbare Doppelsinnigkeit
der Namen meiden wollen.

 

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  Ebene schließenChronologisch
   
1812Adolph Henrich Grabbe Nr. 3, 1812 — Dorothea Grabbe Nr. 3, 1812
1815Meyersche Hofbuchhandlung 
1816Meyersche Hofbuchhandlung 
1817Georg Joachim Göschen Nr. 14, 28. Juli 1817
1818Dorothea Grabbe Nr. 21, 11. Februar 1818 — Adolph Henrich Grabbe  — Meyersche Hofbuchhandlung 
1819Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 27, 07. May 1819
1821Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe 
1822Dorothea Grabbe  — Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen Nr. a1, 28. Januar 1822 — Adolph Henrich Grabbe  — Ludwig Tieck 
1823Dorothea Grabbe  — Ludwig Christian Gustorf  — Adolph Henrich Grabbe  — Ludwig Tieck 
1824Ludwig Christian Gustorf Nr. 80, 12. Februar 1824 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 81, 14. Februar 1824 — Examinationskommission Nr. 85, 27. März 1824
1825Moritz Leopold Petri  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 90, 29. Dezember 1825
1826Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 91, 19. Januar 1826 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Friedrich Wilhelm Helwing Nr. 94, 06. May 1826 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Friedrich Wasserfall  — Christian von Meien Nr. 102, 15. Oktober 1826 — Fürstlich Lippische Regierung  — Moritz Leopold Petri 
1827Fürstlich Lippische Regierung Nr. 116, 07. Januar 1827 — Unbekannt  — Christian von Meien Nr. 119, 07. April 1827 — Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 121, 01. May 1827 — Moritz Leopold Petri Nr. 123, 04. May 1827 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Nikolaus Meyer Nr. 132, 21. August 1827 — Johann Wolfgang von Goethe Nr. 135, 26. Oktober 1827 — Ludwig Tieck Nr. 136, 30. Oktober 1827 — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 140, 22. Dezember 1827
1828Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 144, 04. Januar 1828 — Christian von Meien Nr. 147, 10. Januar 1828 — Fürstlich Lippische Rentkammer Nr. 155, 24. Januar 1828 — Wilhelmine Koch Nr. 156, 26. Januar 1828 — Nikolaus Meyer Nr. 165, 03. März 1828 — Fürstlich Lippische Regierung  — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 167, 07. März 1828 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Johann Karl August Kestner  — Karl Gottfried Theodor Winkler Nr. 183, 02. April 1828 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Louise Christiane Clostermeier  — Unbekannt Nr. 213, 26. November 1828 — Louise Clostermeier 
1829Christian von Meien  — Friedrich August Rosen Nr. 223, 10. Februar 1829 — Friedrich Althof Nr. 224, 20. Februar 1829 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 235, 01. August 1829 — Friedrich Steinmann  — Nikolaus Meyer Nr. 237, 03. August 1829 — Louise Christiane Clostermeier  — Hermannsche Buchhandlung Nr. a2, 20. August 1829 — Louise Clostermeier Nr. 242, 05. September 1829 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 250, 19. Dezember 1829
1830Louise Christiane Clostermeier  — Friedrich Steinmann Nr. 259, 30. Januar 1830 — Karl Gottfried Theodor Winkler  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Johann Heinrich Wist Nr. 268, 28. May 1830 — Unbekannt Nr. 270, 15. Juni 1830 — Ernst Barkhausen Nr. 273, 03. August 1830 — Wolfgang Menzel Nr. 274, 03. August 1830 — Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 278, 16. September 1830 — Nikolaus Meyer 
1831Wolfgang Menzel Nr. 286, 15. Januar 1831 — Nikolaus Meyer  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Dr. Gustav Friedrich Klemm Nr. 293, 24. März 1831 — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 324, 28. Juli 1831 — Louise Christiane Clostermeier  — Moritz Leopold Petri  — Valentin Husemann 
1832Moritz Leopold Petri  — Theodor von Kobbe Nr. 353, 10. Februar 1832 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien Nr. 361, 28. May 1832 — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 362, 29. May 1832 — Johann Karl August Kestner Nr. a3, 18. Juni 1832 — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Louise Christiane Clostermeier  — Herrschaftliches Richteramt Nr. 368, 02. November 1832
1833Moritz Leopold Petri Nr. 369, 05. Januar 1833 — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Friedrich Ballhorn-Rosen Nr. 377, 06. März 1833 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Louise Christiane Grabbe  — Christian von Meien  — Fürstlich Lippische Regierung 
1834Fürst Leopold zur Lippe II.  — Christian von Meien  — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Grabbe  — Karl Ziegler  — Dorothea Grabbe  — Wolfgang Menzel Nr. 477, 15. November 1834 — Eduard Duller Nr. 478a, 18. November 1834 — Moritz Leopold Petri  — Karl Leberecht Immermann 
1835Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 499, 01. Januar 1835 — Louise Christiane Grabbe  — Karl Leberecht Immermann  — Unbekannt  — Moritz Leopold Petri  — Friedrich Althof Nr. 610, 10. Juni 1835 — Karl Ziegler  — Dr. Martin Runkel  — Karl Jenke Nr. 620, 18. Juni 1835 — Friedrich Schenk Nr. 620, 18. Juni 1835 — Dr. Karl Heinrich Ebermaier Nr. 623a, 20. Juni 1835 — Carl Georg Schreiner  — Dorothea Grabbe  — Gräfin Elisa von Ahlefeldt  — Ludwig Saeng Nr. a5, 27. Juli 1835 — Wolfgang Menzel  — A. L. Hons 
1836Karl Leberecht Immermann  — Hermann Kunibert Neumann  — Eduard Duller Nr. 694, 21. April 1836 — Dorothea Grabbe  — Heinrich Brockhaus Nr. 702, 11. May 1836 — A. L. Hons  — Karl Ziegler  — Carl Georg Schreiner  — Moritz Leopold Petri  — Louise Christiane Grabbe  — Christian von Meien Nr. 725, 24. Juli 1836 — Unbekannt Nr. 729, 08. September 1836
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