Nr. 495, siehe GAA, Bd. VI, S. 122 | 01. Januar 1835 | | Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Hochgeehrter Freund! 30Anbei eine Probe der Hamletsübersetzung, so wie sub pet. rem. Ihr englisches Original zur Vergleichung. Ich habe gar keine Hülfsquellen, keine Uebersetzung und kein Lexicon, und keinen Commentator gehabt, also verzeihen Sie wohl, fände sich ein Schnitzer. Die Engländer u. Franzosen sind 35mit ihren Versen gut daran, und sind blind, daß sie sich fürchten es mit Hexametern zu versuchen — der Franzose braucht ja nur zu accentuiren, die kurze Syllbe lang, die lange kurz (in den Classikern wie oft fille, père) und der Engländer, seinem Wesen ziemlich gemäß, nur zu verschlukken, [GAA, Bd. VI, S. 123] wo ihm was im Wege steht, und das hat der Stratforder redlich benutzt. Ich habe in diesem Probestück seine Verse von 3, 4, 6½ ect Füßen, redlich nachgebildet, aber man kann manche mit drei-doppelten Rhytmus lesen. Der 5alte Voß hat doch recht, wenn er manche Shakspearische Scene, in Prosa in den Ausgaben, wieder in Verse stiefelt, z. B. ist nicht eben das von mir übersetzte Gespr. zwischen Haml. u. Ophelia fast ganz Vers, contra Schlegel, Blair und Johnson? — Auch, so viel es ging, hab ich Williams Interpunction 10beibehalten, er ist groß genug, um bei ihm auch oft im Komma eine Lanze zu wittern. Bisweilen sind, und ich glaube zum Theil mit Vorsatz, die Verse doppelsinnig (er läßt die Tugend von der Ehrbarkeit, die Ehrbarkeit, wie es scheint, von der Tugend umwandeln) und ich habe mich 15bemüht, ihm die beiden Masken zu lassen. Im Monolog be or not p hat William (par excellence) in der first edition den Character, die Aufgeregtheit des Haml. besser spielen lassen wie in der second. Es geht in der first durcheinander, so daß einmal hope für Furcht dasteht. Ich glaube aber, 20das Wort mag zu Shsprs Zeit auch wohl das Gegentheil bedeutet haben, wie so manches Wort in vielen Sprachen, z. B. „ahnen“ bei uns, sacer bei den Römern. Ich überlasse Ihnen, ob ich mit einer Note auch hope als Hoffnung übersetze, denn ohne Noten wird's (soll die Uebersetzung ganz 25interessant werden) schwerlich abgeh'n. — Die Abkürzung des Namens der Ophelia in den Rubriken, Ofel, einmal gar Ofe, hab' ich ganz so stehen lassen, der Klang erinnert zwar an ovis und Ofen, macht mir aber das Mädchen lieber als das Prunkwort Ophelia. — Die englische Sprache hat fast 30nur männliche Endsilben im Vers; wir castriren aber die deutsche, und geben den Sinn nicht wieder, handeln wir nicht wie Schlegel, und sprechen wir das Fremde so mit dem Mund wie er uns gewachsen ist. — Mit „Earnest vowes of lofe“ hat Wildhelm mir auch einen bösen Streich gespielt, 35da er eine Welt mit ihren Tücken in sich hat — Earnest, heißt bei ihm, und zwar so viel ich mich erinnere, im Macbeth auch „Handgeld“ — ich glaube aber es mit „ernst“ hier übersetzen zu müssen, — Ofel wird doch von keinem Liebeshandgeld sprechen wollen, und ist's 40ein ihr vom Dichter zugeschobenes Wortspiel, wüßt' ich nicht, wie man's nachmachen sollte. Hieß es Handgeld, hätte Tieck [GAA, Bd. VI, S. 124] verbotenus recht, so wie ich auch glaube, daß er im Geist des Stücks bei der Ofe überhaupt recht hat. — Merkwürdig ist es auch, und beim Uebersetzen erst fiel's mir auf, daß ein Engländer Geschenke zum Andenken „Genommenes“ und 5wir solche „Gaben“ nennen (tokens, Gaben). — Können Sie mir nicht bis morgen Mittag einen Abschreiber für Aschenbrödel auf meine Kosten zuweisen? Und dann: haben Sie Herrmanns Metrik, und könnt' ich sie nicht auf 2 Tage bekommen? Dito den ersten Theil des Landrechts? 10Und endlich auch mir etwas zum Abschreiben, aber mit 8 Tagen Frist, und wenn ich Keinem dadurch sein Verdienst nehme. Ich will lieber mit ihm nach seinem Belieben theilen, denn nach den Instituten, seh' ich, gehört's auch dem Souffleur. Düss. 1 Jan. 1835. | | Gehorsamst | | | Grabbe | Noch eins als Postscript: ich muß mich rechtfertigen, warum ich nicht wie die Anderen „My Lord“ mit „mein Herr“ übersetzte. „Mein Herr“ bedeutet jeden engl. Gentleman, Lord ist aber ein unübersetzbares Wort, welches man annehmen 20muß wie die fremden Worte: „Kaiser, Consul, Prätor“ pp. Wir Deutschen um so eher, da nach Grimms Grammatik das Wort aus dem Niederdeutschen stammt: aus Laif (Laib, Brod) und Ort (Herr.), ergo Brodherr. Sind Sie anderer Meinung, füg' ich mich gern. Indeß mir ist der Lord wahrhaftig 25lieb. Eod. Williams Schreibfehler oder Schreibvorzüge hab' ich auch nachgeahmt, z. B. Sterben (Die) ß, leben klein.Id. Güldenstein und Rosenschlau durft' ich eben nicht wie 30gewöhnlich mit Güldenstern und Rosenkranz übersetzen, wenn die alte Ausgabe die alte bleiben sollte mit ihren „stone“ rosn und craft. Auch wohl eine Note beim Druck dabei. Shaksp. hat ohne Zweifel früher mit den ss. pp die offenbare Doppelsinnigkeit der Namen meiden wollen. |
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495.
H: 1 Bl., 1 Doppelbl. in 40; 6 S., 1 Zettel in schmal-quer-80; 1 S.
F: JW Bl. 26—29. (24—27.)
D: TdrO S. XLIX-LII, als Nr 5.
S. 122, Z. 33: Sie] sie H
S. 122, Z. 38] in H mit einem Kürzezeichen über dem i und
einem Längezeichen über dem e
S. 122, Z. 38: pere], in H mit einem Kürzezeichen über dem
ersten und einem Längezeichen über dem zweiten e
S. 123, Z. 1: im] ihm H
S. 123, Z. 32: Fremde] Fremde nicht D
S. 124, Z. 17: mit] nicht mit H
S. 122, Z. 30: eine Probe der Hamletsübersetzung: Von dieser
ist nichts bekannt.
S. 122, Z. 30 f.: sub pet. rem.: sub petito remissionis, d. h.
mit der Bitte um Rücksendung.
S. 122, Z. 38: fǐllē, pĕrē: Tochter, Vater.
S. 123, Z. 4 f.: Der alte Voß hat doch recht [usw.]: Das Gespräch
zwischen Ophelia und Hamlet schließt sich an dessen Monolog
[Bd. b6, S. 467]
(„To be, or not to be ...“) an, mit dem die erste Szene des dritten
Akts beginnt. Es setzt versifiziert ein, um später in Prosa überzugehen.
(Vgl. „The Works of Shakespear. [With the beauties pointed
out, a life, glossary, &c. Edited by Dr. Hugh Blair.]“ Vol. 8.
Edinburgh 1771, S. 131—33. „The dramatic Works of W. Shakspeare,
from the text of Johnson, Steevens, and Reed. With biographical
memoir, summary remarks on each play, copious glossary, and
various notes.“ Frankfurt o. M. 1830, S. 754—55.) Diese Form
ist in August Wilhelm Schlegels Übersetzung beibehalten. (Vgl.
„Hamlet. Schauspiel in Übersetzung von Shakespear's Original ohne
Auslassung. Von A. W. Schlegel.“ Berlin 1800, S. 106—09.) Johann
Heinrich Voß bemerkt in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung,
die mit Hamlets Frage: „Ha, ha! are you honest?“ einsetzende Prosa
könne, fast ohne die mindeste Veränderung in das ursprüngliche Versmaß
der leichteren Gattung zurückgeführt werden. Seine Übersetzung
fußt nämlich auf der Überzeugung, daß sich nach den bisherigen
Ausgaben fast in jedem Schauspiele Shakespeares Stellen, ja ganze
Szenen fänden, in denen ein Streit zwischen Inhalt und Form obwalte,
„oft so auffallend, daß er auch dem blöderen Auge nicht
entgehen“ könne. Dies sei „nicht Schuld des Dichters, sondern der
leichtsinnigen Abschreiber und Herausgeber“, die „häufig Verse als
Prosa drucken ließen, mitunter auch — doch nur als seltene Ausnahme
— einen prosaischen Saz als verslosen Vers absezten“. Demgemäß
verfährt er in dem fraglichen Dialoge. (Vgl. „Shakspeare's
Schauspiele von Johann Heinrich Voß und dessen Söhnen Heinrich
Voß und Abraham Voß. Mit Erläuterungen.“ Bd 1. Leipzig, Brockhaus
1818, S. XLV; Bd 8, Abth. 1, Stuttgart 1827, S. 79—81, 324.)
In „The first Edition of the tragedy of Hamlet, by William
Shakespeare. London. Printed for N. L.
Trundell 1603“ besteht nur der Anfang aus Prosa, das Folgende
aber aus unregelmäßigen Versen. (Vgl. den Neudruck, „by William
Nicol, for Payne and Foss, Pall-Mall“ 1825, S. E-E 2.)
S. 123, Z. 6—8: ist nicht eben das von mir übersetzte Gespr.
zwischen Haml. u. Ophelia [usw.]: Das auf Hamlets Monolog in
III,1 folgende Gespräch ist in der endgültigen Fassung in Prosa
gehalten und so auch in der Schlegelschen Übersetzung (Th. 3, S.
234—37). In dem, Grabbe vorliegenden Texte der ersten Quarto
ist es aus Versen und Prosa gemischt. Mit Blair und Johnson meint
Grabbe wohl die von diesen veranstalteten Ausgaben: „Shakespeare
Works. With the corrections and illustrations of various commentators:
to which are added notes by Samuel Johnson.“ 8 Bde. London
1765. Und: „Shakespeare Works. With the beauties pointed
out, a life, glossary, &c. Edited by Dr. Hugh Blair.“ 8 Bde. Edinburgh
1771.
S. 123, Z. 15 f.: Im Monolog be or not p: III,1 („Sein oder
Nichtsein, das ist hier die Frage“).
S. 123, Z. 16: par excellence: im wahrsten Sinne des Wortes,
recht eigentlich.
S. 123, Z. 22: sacer: bedeutet 1) einem Gotte geheiligt, gewidmet,
heilig; im übertragenen Sinne heilig, ehrfurchtsvoll, ehrwürdig;
2) einer unterirdischen Gottheit zur Vernichtung geweiht, ihr als
[Bd. b6, S. 468]
Opfer verfallen, d. h. verflucht, verwünscht; im übertragenen Sinne
überhaupt verflucht, verwünscht, verabscheut, abscheulich.
S. 123, Z. 28: ovis: (lat.) das Schaf.
S. 123, Z. 33: Earnest: Hat bei Shakespeare als Substantivum
sowohl die Bedeutung von „Handgeld“ wie von „Ernst“. Ein Wortspiel
zwischen beiden Bedeutungen findet sich in den „Two Gentlemen
of Verona“ II,1. Als Adjektivum heißt es „ernst“, „eifrig“,
„begierig“. Ein Wortspiel mit earnest in der Bedeutung „Handgeld“
in der „Comedy of Errors“ III,2.
S. 124, Z. 8: Herrmanns Metrik: Die Arbeiten Gottfried Hermanns
auf dem Gebiete der antiken Metrik sind bahnbrechend
gewesen. „Die Grundzüge seines Systems hat H. schon in der Schrift
'De metris poetarum graecorum et romanorum' (Leipzig 1796) aufgestellt;
weiter ausgeführt und begründet erscheint dasselbe in dem
'Handbuche der Metrik' (ebd. 1799), am reichsten entwickelt in den
'Elementa doctrinae metricae' (ebd. 1816), aus welchem Werke H.
selbst einen zunächst für seine Vorlesungen bestimmten, durch manche
Beobachtungen im Einzelnen bereicherten und berichtigten Auszug
unter dem Titel 'Epitome doctrinae metricae' (ebd. 1818 [...] gegeben
hat.“ (C. Bursian, ADB Bd 12, S. 177.)