Nr. 493, siehe GAA, Bd. VI, S. 118 | 22. Dezember 1834 | ![nothumbnail](/icondir/noimageavl.gif) | Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf) | Brief | | | | Vorangehend: ![](/icondir/lettericon.png) | Nachfolgend: ![](/icondir/lettericon.png) |
| Hochgeehrtester Freund! Hierbei Töpfer selbst mit H. u. D. retour, und meine Abschrift, die erste, welche ich von fremder Hand gemacht. 30Die ruhige Behandlung gefällt mir, obgleich das Ganze flach gehalten ist. Besonders hat Töpfer den Character des alten Feldern mißhandelt, bei Goethe ein tüchtiger Spießbürger, bei Töpfer ein halb verrückter Polterer mit einem Gran Iffland'scher Comödienväterei. Ich war nicht gewohnt zu berechnen, 35wie lang die Abschreiberei währen könnte; das nächstemal soll es sicherer geh'n, auch rascher. Ich bin nun schon geübt. Schicken Sie mir nur was. Dito mit Dank Platens Neapel anbei. Hat mich nicht befriedigt. Hier und da wird's interessant, aber nur bei zu [GAA, Bd. VI, S. 119] hervorgehobener Skizzirung einzelner Scenen. Ob auch der Anfang trocken ist, mir gefiel er besser als nun das Ende. Ihr Reisejournal habe ich nun mit Aufmerksamkeit durchlesen, und Viel darin gefunden. Meinem Wesen sagt aber 5vor allem Ihre Ansicht über den Liberalismus und seine Söhne zu. Dieses Gesindel, das (ja, nehmen wir das Schlimmste, es ist bei ihm das gewisseste) da schreit, um Lob und Diäten zu haben, das überall die Steine zu Kalk macht, damit ein Napoleon oder Cäsar einst Casematten so fester darüber 10kleben kann, diese Versammlungen von 100 Narren für Einen Thron, welcher denn doch überall zu hoch steht, als daß er vom Inhaber oder vom Pöbel so ganz und gar beschmutzt werden dürfte wie manche sogenannte Kammer, könnten mich Despotie zurückwünschen lassen. Roms Republik war ganz 15was anderes, wie wir wohl einmal mündlich discuriren könnten, und Frankreichs Juli hat mir nur bewiesen, daß da Alles ohne Halt ist, daß England (wie ich lange vorher prophezeite) Frankreich durch scheinbares Anschmiegen betrogen hat: in Belgien ist der König Coburg, halb englisirt, in 20Antwerpen liegen 50 engl. Kauffahrer gegen 1 franz., und Wellington ist wieder Minister. — — — Da fällt mir die badische Ständeversammlung ein. Herr von Rotteck gibt ihre Annalen heraus mit Portraits der Mitglieder. Ich habe in mancher Menagerie bessere Visagen (die des Welcker 25geht so so) gesehen, besonders sieht man den Messieurs par peuple an, wie wohlgefällig, vorsichtig und ernst sie dem Maler gesessen. Nach Herrn von Rottecks Geschichte, in welcher er sich auf Gibbon als seinen Führer zu beziehen wagt, auf ihn, den er nicht einmal werth ist, 30zu erwähnen, war zu vermuthen, daß auf die ekelhafteste Art das Widerlichste qua Portrait vorangestellt wurde, und richtig er steht voran, mit einer Nase, die nach Weisheitskörnern zu picken scheint, und einer Stirn, gespannt wie Trommelfell (leider hatte M. v. Weber gleiche Stirn, er trommelte 35aber doch Max, Aennchen und Agathe heraus.) — Wie? Ist die Madonna, die sixtinische, in Dresden, ist die durch die Auffrischung schlechter geworden, etwas Characteristisches in dem Gemälde zerstört? O, ich fürchtete es lange, die hätten sie eher groß untergehen lassen sollen, statt 40daran zu arzneien. Sie, Immermann, deuten's nur halb an — Ist es? Niemand hat noch dieß Weib mit dem Kinde [GAA, Bd. VI, S. 120] und den beiden Engeln echt abconterfeien können, ich glaube sie hatte Bewußtseyn, sie lebte, aus dem Rahmen hätte sie springen sollen als Schmierer darüber kamen — Und wär' es? Den Sixtus und die Barbara, die sicher nicht von Raphaels 5Hand sind, sondern höchstens nach seinen leichten Umrissen von irgend einem seiner Schüler, vielleicht auch die Besteller des Gemäldes nach alter Sitte darstellend, hätte der Verbesserer wegschaffen mögen, aber Maria, den Sohn, die 2 Engel auffrischen? — Daß Sixt. u. Barb. nicht raphaelisch sind, beweis' 10ich: 1) Raph. hätte in beiden den Glanz der Himmel cha- racteristischer wiederspiegeln lassen, 2) Barbara thut gar dabei wie eine leipziger Magd, die aus dem Fenster sieht. Ihr Urtheil über Correggio hat mir sehr gefallen. Die Nacht selbst hat wohl nur ihre Berühmtheit ihrem Namen 15zu verdanken. Es ist ein qualmiges Ding mit gezierten Figuren. Da ist schon die Glasmalerei im Cöllner Dom kühner und größer. — Schicken Sie mir doch gefälligst den Brief meiner Madonna gelegentlich retour. — 20 Da ich Ihre Werke jetzt so vor mir habe, sie in einem Gusse lese, wundert's mich, daß unter so vielen Urtheilen noch kein tüchtiges Urtheil darüber erschienen ist. Die Zeit sitzt wie die gefangenen Juden am Bächlein zu Babylon, und ahnt nicht die großen Dichtungen u. Ströme, worin die 25kleinen zerfließen. Ich will neben der Theaterkritik den Hofer, den Peter und die Gedichte noch einmal durchgehn und gründlich zu critisiren versuchen, — den Rest ein andermal, — es soll mir die Lieblingsbeschäftigung bei meinem Hannibal seyn, und Sie willigen wohl ein, daß ich die Kritik publicire. 30 Wär' ich mit dem Punier fertig, so hätt' ich 1)Aschenbrödel zu reformiren, 2)„Der Dichter“, Drama, zu vollenden, mit dem Beisatz: historisch, 3)einen Eulenspiegel, worin dieser echt norddeutsche Character 35einmal dasteht, wie aus Felsen lustig gesprungen und gehauen, zu produciren. Eulenspiegel und Aschenbrödel auch für die Bühne, und den Eulenspiegel wo möglich gemeinschaftlich mit Ihnen. Pto Hannibals flehe ich, mir zu helfen: ich muß und 40muß den Plutarch in einer Uebersetzung, das Griechische könnt' ich nur zu flüchtig durchgeh'n, den Livius, und die [GAA, Bd. VI, S. 121] beiden Scipionen (die haben Sie im Kannegieter) bald auf einige Tage haben. Desgleichen Guthrie und Grays Weltgeschichte und Dörings Anleitung vom Uebersetzen des Deutschen in's Lat. — Ich bin zu begierig, das Werk mit den großen 5Heerstraßen, an deren Enden sich Carthago in Scipios Helm und Harnisch brennend abspiegelt, und Hannibal in der Nacht des Todes erlischt, zu vollenden. Ich bitte! bitte! und ich quäle Sie sobald nicht wieder. Mich verzehrt die Sache sonst. Ein Zettelchen von Ihnen an die betreffende Behörde hilft 10mir besser als meine Persönlichkeit. Düsseldorf den 22 Dec. 1834. Grabbe. — Schrieb Obiges vor dem Theater, komme eben heraus. 15Recht, daß im Menuet der Ochs nicht kam, in meiner Nähe waren genug, die sich nur selbst hätte besehen sollen, als sie ihn vermißten. Eod.Id. Und doch noch Eins: Zelter und Goethe. 20 N. S. Der Brief blieb gestern liegen, weil die Madame fürchtete, Abends das Mädchen so weit auszuschicken. Den 23 Dec. 1834. [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath 25K. Immermann. Mit 2 Manuscrpp. und 1 Buch. |
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