Nr. 491, siehe GAA, Bd. VI, S. 114 | 17. Dezember 1834 | | Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| G. P. M. 15Anbei die ersten Scenen des Hannibal. Ich bitte, sie binnen 2 Tagen, wo der Herr Töpfer abgeschrieben seyn wird, rückholen zu dürfen. Ueber den Vers haben wir gestern gesprochen und sind wir wohl eins. Ich habe mit Bewußtseyn, mit Vorsatz ihn so geschrieben wie er da ist, aber durchaus ohne Affectation. 20Soll man ewig die alten Hosen tragen? Schiller hat's auch geahnt: cfr. seinen Jambus im Tell mit dem in Don Carlos und in Maria Stuart. Der Gedanke macht den Vers, nicht der Vers den Gedanken. Carthagos Mädchen waren berühmt wegen ihrer Schönheit, 25sie waren die ersten, welche die ungeheure Stadt anzündeten, deshalb durft' ich mit der Alitta anfangen — Sie wird, wie fast alle Charactere im Laufe des Stückes wachsen. Der Melkir z. B. verschließt nach der Schlacht bei Zama dem Hannibal das Thor, meint er wäre Herr, als der Gisgon ihn fassen läßt 30und dem Moloch opfert, ihn beim Wort haltend, indem Melkir sagt: dem Moloch muß das Beste geopfert werden zur Rettung der Stadt (er meint Hanno) und Gisgon ihm darthut, der Beste sey grade Er, Melkir. Schön sieht die Handschrift des Manuscripts nicht aus. Es 35fallen Einem beim Copiren zu viel Correcturen ein. Indeß, es geht wohl doch. Als ich Archivar werden wollte, machten unleserliche Handschriften mir gar Spaß. War auch nichts daran, ich entzifferte und freute mich mehr die tollen Zahlen [GAA, Bd. VI, S. 115] und Buchstaben erkannt zu haben (mancher Mönch hatte wohl sauer genug daran geschmiert) als den Inhalt. Der Consul und ex post Dictator Fabius Maximus, mit dem sauberen Beinamen cunctator, erhält in den bald folgenden 5Scenen auch sein Theil. Besonders freu' ich mich auf's Mundiren der bekannten Ochsengeschichte im Thal von Casilinum. Den jüngeren Scipio mußte und muß ich ferner besonders wachsen lassen. Nichts mir fataler als Schauspiele, wo alles sich um Einen Götzen dreht. Ich meine, Scipios d. J. Erz 10leuchtet schon dem Hannibal etwas in die Augen. Bei Zama muß er vor dem Stahl-Schild des Römers gar etwas blinzeln. Der alte Cato ist sicher so gewesen, wie ich ihn schon jetzt geschildert. Ich hoffe einige Nebenpersonen sind auch zu erkennen. Allen scharfe Züge zu geben, ist leicht, aber es 15verwirrt, ist unnatürlich und unkünstlerisch. Es müssen auch Unterlagen da seyn, worauf die Hauptpersonen stehen. Daß Carthago America kannte, Africa umschifft hatte (letzteres weiß nicht allein Herodot, sondern auch Plutarch, irr' ich nicht im Leben des Dion, welches der Cameeltreiber 20Heeren übersehen hat,) ist ohne Zweifel. Der Gottesdienst in Mexico war carthagisch, und die jetzt entdeckten Ruinen von Huatlipatnam sind's auch. Die Guanchos auf Madera scheinen gleichfalls Carthager gewesen zu seyn. Der neuentdeckte gebildete Volksstamm in Südafrica vielleicht auch. Hätte Carthago 25gesiegt, ständen wir vielleicht unter africanischer Herrschaft, aber Europa's Seeländer sind zu zackig, und Nordafricas Küste zu breit, zu lang, zu schmal, dicht die Wüste dahinter — ich glaube beide Erdtheile können sich nichts thun. Carl V scheiterte an Algier (die Franzosen wahrscheinlich bald 30darin), die Saracenen mußten Spanien räumen. Carthago suchte, anfangs klüger als beide, die Inseln — Nachher — — Wo komm' ich hin? Unendlicher Stoff. Ich will an Hemilchis denken. Nach Graf Wackerbarth, der meinem Schwiegervater sein großes Werk über die Teutonen 35geschenkt hat, in welchem er auf Ehre und noch dazu auf seine Kosten (denn er hat's auf seine Kosten in roy. fol. drucken lassen) versichert, die Deutschen wären vor 30_000 Jahren 36 Fuß hoch gewesen, müßte Hemilchis ein Deutscher, in specie ein Meklenburger seyn. Denn „he“ ist der Artikel 40„der“ und milchis ist das „michel“ (groß) aus den Nibelungen. Allein Rosamunde hat mich belehrt — dieser echt deutsche [GAA, Bd. VI, S. 116] Name Hemilchis gehört doch den Slaven an, denn die Gepiden waren Slaven, sind aber in dem Stück zu verschwistert mit den ehemaligen germanischen Küstenbewohnern der Ostsee (Longobard, long board, weit am Bord, an der Küste, die 5wahrscheinlichste, historischste Ableitung), daß ich bisweilen nicht wußte, wer Gepide, wer Longobard? Und doch — die Mecklenburger Bauern sind ja Slaven, dito ist das meklenburgische Haus ein Zweig der Obotriten, auch slavisch, so gut wie die bairischen Schyren — Uechtriz, den ich in vieler Art 10doch als tüchtigen Mann kenne, hätte mich nicht in all diese Scrupel und Widersprüche bringen sollen. Ich will sie ihm selbst sagen, sobald ich weiß, wo er wohnt. — Verzeihen Sie. Ich habe wenig Gesellschaft, und schreibe dann gern. Rechnen Sie es nur dem Hannibal nicht an. 15 [Dü]sseldorf, 17. Dec. 1834 [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath K. Immermann allhier. Hierbei e. Manuscript. |
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