Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 39, siehe GAA, Bd. V, S. 35thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Leipzig) an Adolph Henrich Grabbe, Dorothea Grabbe (Detmold)
Brief

Handschrift Leipz. den 16 Nov. 1821.
      Liebe Eltern!

  Ich bin gesund; möchtet Ihr es ebenfalls seyn! — Ich habe
Eure beiden Briefe zu meiner großen Freude erhalten. Den
5Geburtstag der Mutter will ich würdig feiern. Daß Ihr mich
sehr lieb habt sehe ich daran, daß Ihr mir, obgleich ich mich
noch so sehr dagegen wehre, Kisten über Kisten schickt. —
„Flausch“ bedeutet einen weißen Rock. — Den mitgeschickten
schönen Ring werde ich tragen; ich danke für das Präsent. —
10Koste ich Euch nicht zuviel? Dulden es eure Umstände? Schickt
mir lieber weniger. — Krohn ist, so viel ich weiß, in Jena;
in Detmold scheinen viele Lügen zu cursiren. — Für mein
künftiges Unterkommen bin ich, so Gott will, nicht bange,
und ich hoffe, daß ich es in Detmold nie zu suchen brauche;
15vielleicht bin ich schon in einem halben Jahre am Ziele; in
Detmold kennen sie mich Alle noch so viel als gar nicht; ich
habe mich immer Etwas verstellt. — Ich glaube, daß Kaiser
Alles, was er zum Examen nöthig hat, in sechs Wochen lernen
kann. — Ich möchte wissen wie Schröder mit Reichenbach
20bekannt seyn will. Reichenbach ist ein Banquier, dessen Frau
dreimal so viel verthut, als die Fürstinn zur Lippe. — Was
mag's mit dem Seminaristen Meier seyn? — Schreibt mir doch
ob ich mein Schulzeugniß vorigen Ostern nicht bei Euch
zurückgelassen habe. Ich glaube Handschrift es liegt im Schranke. Wenn
25Ihr es nicht habt, so wird es in meinem Koffer stecken, den
ich selten aufmache. — Neulich war hier Feuer; man räumte
aber im Hause nebenan nicht einmal aus, so sehr verließ man
sich auf die Löschanstalten. — Es ist hier hellkaltes Wetter. —
Es sind nur zwei leipziger Studenten nach Griechenland gegangen.
30— Der Vater muß sich mit seinem Husten in Acht
nehmen. — Ich trinke jetzt bisweilen Thee. — Auf den Dörfern
umher gehen hier die Wurstschmäuse los. — Die wollenen
Strümpfe will ich anziehen. Vielleicht kaufe ich eine Studierlampe;
sie sind hier sehr wohlfeil; ein Vitriolfeuerzeug, welches
35auf der Stelle Feuer gibt, habe ich für 2 Groschen gekauft. —
Die lippstädter Butter habe ich eben gekostet; sie ist gut. —
Ich will ein Butterbrot zum Caffee essen und denken ich wäre
zu Haus. — Wenn ich auch mich niemals in Detmold niederlassen
sollte, so werde ich Euch liebe Eltern! doch jedes Jahr
40auf sechs bis acht Wochen besuchen. Mit meinen Wirthsleuten

[GAA, Bd. V, S. 36]

 


bin ich noch stets zufrieden. — Mein brauner Rock ist noch
wie neu; eben so meine Hosen. — Lebt wohl! Lebt wohl!
liebe Eltern! — Ihr könnt meine Briefe doch deutlich lesen? —

                        Ein treuer Sohn.

 


39.

H: 1 Bl. in 40; 2 S.
F: GrA
T: Gegenw. S. 10.
T1: WBl IV 338—39, als Nr 6.
D: WGr IV 157—58, als Nr 9.
  In der oberen linken Ecke der ersten Seite von der Hand des
Vaters der Vermerk: Beantwortet d. 22ten Nov 21

S. 35, Z. 11: Krohn] Mit Rotstift unterstr. H
S. 35, Z. 12: in Detmold [und] viele Lügen] Mit Rotstift
unterstr. H
S. 35, Z. 14: ich es in Detmold [bis] brauche] Mit Rotstift
unterstr. H
S. 35, Z. 16 f.: ich habe [bis] verstellt] Mit Rotstift unterstr.;
aRl mit Rotstift: NB H

S. 35, Z. 11: Krohn: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 21, Z. 26.
S. 35, Z. 17: Kaiser: Ernst Johann Anton Keiser, geb. am 5. Juni
1797 zu Detmold als Sohn des Hofapothekers und Preußischen
Postmeisters Ludwig Bernhard K., gest. am 24. Dez. 1848 in Detmold.
Er arbeitete zur Erlernung der Pharmazie als Lehrling in der
Königl. Apotheke zu Celle, bildete sich in Göttingen und Berlin
durch den Besuch von Kollegien in seinem Fache fort, beschäftigte
sich nach seiner Rückkehr ins Vaterhaus weiterhin praktisch wie
theoretisch und meldete sich Mitte Mai 1823 zum Examen. Unterm
18. Nov. 1823 wurde ihm mitgeteilt, daß die am 12ten mit ihm
angestellte Prüfung nicht zur Zufriedenheit seiner Examinatoren
ausgefallen sei und er sich durch Konditionieren oder den Besuch
auswärtiger pharmazeutischer Institute in seinem Fache zuvörderst
noch mehr zu vervollkommnen und demnächst zu einem anderweiten
Examen zu melden habe. Dazu ist es nicht gekommen. (Vgl.
„Acta das Gesuch des Cand. Pharmac: Ernst Keiser hieselbst um
Zulassung zum Examen desgl. die Bestätigung des Keiserschen Privilegii
betr. 1823 ff.“ StAD. L 77 A Fach 192. Nr 8.)
S. 35, Z. 19: Schröder: In Detmold und dessen nächster Umgebung
hat es in jenem Jahre mehrere Träger dieses Namens gegeben,

[Bd. b5, S. 423]

 


und eine Entscheidung darüber, welcher von ihnen hier gemeint ist,
ist in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte nicht möglich.
S. 35, Z. 20: Reichenbach: Im Jahre 1821 hat es in Leipzig zwei
Bankiers R. gegeben, die das Kommissions-, Speditions- und Wechselgeschäft
Reichenbach & Co. am damaligen Neuen Neumarkt (heute
Neumarkt 4) besaßen. Der eine Teilhaber, Christian Wilhelm R.,
wohnte in Richters, nunmehr Reichenbachs Garten am Fleischerplatze,
der andere, K. G. F. R., im Reichenbachschen Stammhause
Katharinen-Straße 410 (zuletzt mit Nr. 14 bezeichnet). Nach Ansicht
des Leipziger Stadtarchivs, dem diese Angaben zu verdanken
sind, wird Grabbe den Erstgenannten meinen.
S. 35, Z. 22: Seminaristen Meier: Er wird in den „Zeugnissen
der Seminaristen von 1812—1822“ (StAD, Akten der Fürstlich
Lippischen Seminardirektion. Tit. III. Nr 8) wiederholt, übrigens
auf eine wenig rühmliche Art, genannt. Nach den Bemerkungen
des Seminardirektors Krücke über „Fleiß, Fortschritte, Ordnung und
Betragen der Seminaristen aus dem Jahre 1820“, und zwar der
vom 5. Dezember datierten, stammte Meier aus Ahmsen; er wird
darin als „keine große Acquisition“ bezeichnet, muß also in dieser
Zeit eingetreten sein. Weitere, auch ihn betreffende Aufzeichnungen
sind vom 5. Juni 1821 und vom 3. Februar 1822 (diese vom
Seminarlehrer Sprütten unterzeichnet) datiert. Mehr hat sich über
seine Persönlichkeit nicht feststellen lassen.