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Nr. 38, siehe GAA, Bd. V, S. 33thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Leipzig) an Adolph Henrich Grabbe, Dorothea Grabbe (Detmold)
Brief

Lpz. den 15 Oct. [1821.]
30                    Handschrift Liebe Eltern!

  Ich bin gesund; möchtet Ihr es doch auch seyn.

  Den Brief vom 28. September habe ich richtig erhalten.

  Vater! du sollst Dich warm anziehen, Dich vor dem Winde
hüten, immer Warmes trinken und Dich mit dem Husten in
35Acht nehmen. — Die Messe ist nun bald zu Ende; die Leute
sind nicht zufrieden; es sind ungeheuer viel Verkäufer und
nicht viele Käufer da gewesen. Es war eine außerordentliche
Masse von Roßkämmen hier. — Wenn Alle Zulage an Gehalt

[GAA, Bd. V, S. 34]

 


erhalten, so müßt Ihr auf den Zuchthofe doch auch welche
bekommen. — An Meier will ich bald schreiben. — Neulich
war Althof aus Jena hier; er sieht recht gesund aus; ich war
grade nicht wohl zu Muthe; ich bot ihm Caffee und Rum
5an; am andren Morgen, als ich ihn in dem Wirthshause besuchen
wollte, sagte der Hausherr, daß kein Student da eingekehrt
sey. — Der Archivrath scheint bei der Gehaltserhöhung
mit Freiligrath auf eine Stufe gesetzt zu seyn. —
Greverus Sachen werde ich bald gehörig besorgen. — Wenn
10ich sage: der Flausch thut mir gute Dienste, so heißt das
natürlich, er sitzt mir in diesem meist naßkalten Wetter recht
warm und behaglich. — Ich esse jetzt des Abends oft Suppe. —
Ich muß doch ziemlich ordentlich seyn, denn Alle denen ich
zu bezahlen habe, trauen mir sehr. — Ich habe jetzt schon
15mehrmals des Abends eingeheitzt. — Eben höre ich, daß auf
dieser Messe 13_000 Einkäufer weniger gewesen sind, als auf
der Ostermesse und dennoch war Alles von Fremden voll. —
Die Nachtmützen setze ich desHandschrift  Abends auf. — Das Zahnweh
ist vorüber. — Die Ankunft Petris hat diesen Brief unterbrochen;
20er ist 2 Tage hier gewesen und sagte, der Tumult
und Lärm auf den Straßen zu Leipzig überträfe den Lärm in
der Stadt Hannover bei Weitem. — Das großstädtische Leben
schien ihm zu gefallen. — Heute werde ich Holz kaufen; es
fängt an sehr kalt zu werden. — Petri sagte, daß es in Detmold
25geheißen hätte, ich wäre zu den Griechen gegangen; ich weiß
nicht, wie man so Etwas denken kann. — Im Ganzen soll
es hier wohlfeiler als in Göttingen seyn und dazu kommt,
daß man hier für wenig Geld haben kann, was man haben
will. Wenn ich z. B. für 1 ggr. Bier trinke, so kann ich alle
30Journale Deutschlands beizu lesen. — Griechen aus Jassy, die
hier zur Messe gewesen sind, haben gesagt, daß Ypsilanti nur
einen Haufen Abentheurer angeführt hätte und daß die Reichen
sich Nichts um ihn bekümmert hätten. — Ich ziehe ein
Camisol unter den Rock. Meine Stiefeln habe ich vorschuhen
35lassen. — Immer wird seinen Vater und seine Mutter lieben

                        Euer Sohn
                            ChDGrabbe.

Schreibt mir bald wieder; in 8 Tagen will ich noch einen
Brief schicken.

[GAA, Bd. V, S. 35]

 

 


38.

H: 1 Bl. in 40. 2 S.
F: GrA
D: WBl IV 336—38, als Nr 5.
  Die an 3 Seiten mit Tinte umrahmte Nachschrift findet sich wegen
Mangels an Platz in der oberen linken Ecke der ersten Seite

S. 34, Z. 7: Archivrath] Die beiden ersten Silben mit Rotstift
unterstr. H
S. 34, Z. 8: Freiligrath] Mit Rotstift unterstr. H
S. 34, Z. 9: Greverus] Mit Rotstift unterstr. H
S. 34, Z. 13: muß doch [und] ordentlich.] Mit Rotstift unterstr. H
S. 34, Z. 21 f.: Lärm auf den Straßen [bis] in der] aRr mit Rotstift
angestr. H

S. 34, Z. 24 f.: Petri sagte [und] Griechen:] Mit Rotstift unterstr.
H
S. 34, Z. 31: Ypsilanti] Mit Rotstift unterstr. H

[Bd. b5, S. 421]

 


S. 33, Z. 35 f.: Die Messe ist nun bald zu Ende [usw.]: Dies
wird durch eine vom Oktober datierte Korrespondenz aus Leipzig
bestätigt, deren Anfang sich in der Nr 262 der „Abend-Zeitung“
vom 1. Nov. (auf S. [4b]) findet und folgendermaßen lautet:
  „Klagen, nichts als Klagen über schlechte Geschäfte, hörte man
in der nun beendigten Michaelismesse von Mund zu Munde tönen.
Dießmal waren die Klagen auch wohl gegründeter, als jemals,
da Russen, Polen und Deutsche wenig kauften, weil die ungünstige
Witterung des verwichenen Sommers der Räumung ihrer Warenläger
hinderlich gewesen war und die Griechen, von ganz andern Sorgen
bedrängt, gänzlich fehlten.“
  Daß die Herbstmesse „einstimmig von den Verkäufern verwünscht“
worden sei, berichtet auch Amadeus Wendt, der Leipziger Korrespondent,
unterm 16. Oktober dem „Morgenblatte“. (Nro 272.
Dienstag, 13. November 1821. S. 1088.)
  Grabbes Angaben über die Messe finden schließlich auch in einer
Meldung der „Zeitung der freyen Stadt Frankfurt“ aus Sachsen
ihre Bestätigung. Die Leipziger Messe, so liest man dort, sei nunmehr
zu Ende, und die Klage allgemein, daß sie „weniger als
mittelmäßig“ ausgefallen sei. Geld und Mut hätten gefehlt. Zwar
habe man in Seidenwaren, groben Tüchern und Leder einige Geschäfte
gemacht; jedoch seien sie zu gering gewesen, um einen
bedeutenden Einfluß auf das bessere Schicksal der Messe zu haben.
Luxuswaren würden verhältnismäßig immer noch gekauft, allein die
Menge in allen Arten von Waren sei zu groß gewesen, als daß
man auch hier zufrieden gewesen sei. Jeder Kaufmann bringe fast
jede Messe mehr Waren mit, als in der vorhergehenden, und so
nehme die Überschwemmung damit immer mehr zu. So zeigten
sich denn auch schon die nachteiligen Folgen des schlechten Ausfalls
der Messe, z. B. darin, daß am Zahltage, dem 11. Oktober, zwei
Leipziger Handlungen ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt hätten.
(Nr 294 vom 21. Oktober, S. 1249[a].)
S. 34, Z. 2: An Meier will ich bald schreiben: Siehe die Anm.
zu Verweis zum Kommentar S. 31, Z. 27 f.
S. 34, Z. 2 f.: Neulich war Althof aus Jena hier: Siehe die Anm.
zu Verweis zum Kommentar S. 20, Z. 26.
S. 34, Z. 8: Freiligrath: Wilhelm F. (1784—1829), in den Jahren
1806 bis 27 Lehrer in Detmold.
S. 34, Z. 9: Greverus Sachen werde ich bald gehörig besorgen:
Mit G. muß Johann Paul Ernst G., der Nachfolger Reinerts am
Lemgoer Gymnasium, gemeint sein. Er war als Sohn des Predigers
Paul G. am 22. Aug. 1789 zu Strückhausen im Herzogtum Oldenburg
geboren und bezog in seinem neunzehnten Lebensjahre, 1808,
die Universität, um Theologie und Philologie zu studieren. Zuerst
war er in Jena und wurde danach am 2. Mai 1810 in Göttingen
immatrikuliert. (Vgl. Göttinger Matrikel S. 494 unter Nr 22491,
wo aber als sein Vater der Kaufmann Höpken in Oldenburg genannt
ist.) Durch die französische Okkupation an der Rückkehr
gehindert, nahm er 1811 eine Stelle an der höheren Mädchenschule
in Münden an, wo er sich auch kirchlichen Geschäften unterziehen
mußte. 1813 wurde er Direktor einer Privatanstalt für Knaben in

[Bd. b5, S. 422]

 


Bremen; 1814 zog er mit ins Feld und unternahm sodann eine
längere Reise durch Frankreich, Italien und die Schweiz. Nach ihrem
Abschlusse lebte er mehrere Jahre lang als Privatmann bei seinem
Freunde, dem Pastor Friedrich Georg Althaus, in Falkenhagen und
bildete sich dort wissenschaftlich fort. 1819 übernahm er das Rektorat
am Lemgoer Gymnasium; von dort empfohlen, wurde er am
4. Juli 1827 in gleicher Eigenschaft an das Oldenburger gewählt.
1854 pensioniert, ist er am 15. Aug. 1859 zu Oldenburg gestorben.
(Karl Meinardus, „Geschichte des Großherzoglichen Gymnasiums in
Oldenburg“, Oldenburg 1878, S. 165—66; Goed.2 Bd 13, S. 446—48,
unter Nr 52.) Um welchen Auftrag oder welche Besorgung es sich
handelt, ist nicht festzustellen.
S. 34, Z. 19: Petris: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 22, Z. 20.
S. 34, Z. 31: Ypsilanti: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar Bd 1, S. 216, Z. 3 f.
(auf S. 589).