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Nr. 343, siehe GAA, Bd. V, S. 360thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief

                    Handschrift Lieber Petri,

  Deinen Brief habe ich erst vor einigen Tagen erbrochen,
und Du hast ihn so geschrieben, daß er mich Deines guten
Willens wegen freuen mußte, und deshalb weniger aufreitzen
5konnte.

  Für Deine Hülfe und Mühe meinen Dank. Fodere in jeder
Lebenslage wieder von mir, was Du willst.

  Je mehr ich überlege, so ist die Sache so, wie ich sie geschildert
habe, H.[usemann] und das Mädchen haben sie eingefädelt,
10und — meine Zuneigung hat mir bisher nicht erlaubt,
es zu sagen — es ist dumm und schlecht, auf so elende Manier
treubrüchig und flüchtig zu werden. Was Erhabenes vermuthete
ich in der Henriot nicht, Handschrift aber ehrlich und sicher wie Gold
hielt ich sie.

15  Eben darum blieb ich vielleicht mehr als nöthig, wie ich
war, aber ich fühlte mich doch besser werden, und wär' das
auch nicht so gewesen — sie kannte mich längst, und wäre
sie, statt blind abzubrechen, mich durch ein abscheuliches Benehmen
zum Rückzug zu nöthigen, drohend, aber mit Liebe,
20hervorgetreten, ich hätte selbst ihre Launen erfüllt.

  Ueber diese Sache so kalt zu schreiben, gehört auch zur
Ueberreife der Zeit. Wertheriade ist es nicht und wird nicht
daraus, — ich bin schon weit verliebter gewesen als jetzt, —
aber nach allen früheren Verliebereien und Wüsteneien, ohne
25irgend ein fremdes Interesse, deutlich zu sehen, daß man etwas
Liebes, wofür man sorgt, haben muß (meinen Eltern bin ich
Dank schuldig, aber sie Handschrift lieb nennen, kann ich nicht), — dieses
Liebe sich entgegenkommen zu sehen, wohl zu berechnen, daß
alles gut geht, und, was das Schlimmste ist, das Ja zu erhalten
30, und Gott weiß aus welcher Erbärmlichkeit es unter
fratzenhaften Drehungen gebrochen zu erblicken, — halte
ich nicht aus. Alles, was Ehre, Treue, Liebe, Verstand heißt,
wird mir dadurch verdächtig. Selbst bei Männern zweifle ich,
und, wenn die auch diese Schätze noch hegten, ich bedurfte
35eines Weibes und mit ihr der Häuslichkeit.

  Von Stunde zu Stunde schlechter, in eigenen und fremden
Arbeiten nachlässiger, oder (wie ich jetzt noch thue) im Fleiße
Erholung suchend, aber ohne andren Zweck als sich selbst zu
vergessen und nachher ein wo möglich triviales Gespräch (das
40Sprechen ist aber auch schon im Absterben) bei Handschrift einem Glase

[GAA, Bd. V, S. 361]

 


Biers, einer Zigarre, oder einer Quote Wein wünschend, —
Vieles lesend und studirend, selbst die Poesie in Regung fühlend,
aber ohne zu wissen, wozu und wohin, — jede Stunde
auf's Krankenbette oder in Wahnsinn stürzen könnend, —
5wohl etwas verdienen, aber wo nicht die Noth drückt, kaum
es einfodern — alles und sich selbst verachtend — et sequentia
(sit venia verbo), — ist keine gute Zukunfts-Aussicht.

  Bemerke ein Practisches: als ich mit Henriot im Verhältniß
war, wurde ich nicht mehr krank, schrieb vom Ende des ersten
10Actes in Gedanken an sie den Napoleon, bildete mit Meien
und Böger das Contingent, und legte erweislich hunderte zurück
(nicht durch die Contingentsbildung), — Handschrift ja, ich las Thibaut
und Eusebii Kirchengeschichte mit wahrhaften Interesse
noch beizu, — und jetzt, wo Buchhändlereien und Processe
15mir die günstigsten Aussichten zeigen, nichts von alle dem —
komme im Vermögen schon retour, indem ich bald etwas von
dem aufnehmen werde, was ich jüngst verliehen.

  Du bist mir im Grunde immer gut gewesen, — ich Dir auch,
— Du stehst an Benehmen und Einsicht über mir, — darum
20spreche ich mich vor Dir aus wie vor einem Kriegsrath.
Ich spreche leider stets zu viel von dem, was mich drückt, bei
Dir aber mit Gründen.

  Ich glaube so viel werth zu seyn, und daß das Leben
soviel werth seyn kann, jeden Hoffnungsstern festzuhalten.
25Du sprichst Handschrift von dergleichen dunkel. Gut, ich will mit Dir
reden. Aber glaub' mir, schließe ich oder schließt sich das nicht
bald, so müßte ich mich selbst verachten, und das führte noch
schlimmer einige Jahre später zum selben Ziel.

  Der Brief an H.[usemann] ist das letzte Mittel. Am Ende
30schmeichelt er aber dem Thier. Ein hübscher Rubin im Weiberhaar
der p eines Anderen. Indeß der Brief wird doch wohl
abgehen müssen. 4 Wochen Frist stehen darin als Letztes, womit
ich mich dem H. auf's Spiel setze, damit er darin etwas
versuche.

35  Diesen Brief habe ich nicht wieder überlesen. — Althof
kommt. — Die Henriot Handschrift habe ich darin geschimpft, aber ich
liebe sie immer, denn sie schien es auch zu thun, und sagte:
Ja.

                                
40                                

  Detmold. 8t Nov. 1831.

[GAA, Bd. V, S. 362]

 


  Bitte sprich mit mir von der Sache nicht eher, als bis ich
anfange.

                                

  [Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn HofgerichtsAssessor
5Petri allhier.