Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief
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Lieber Petri, Deinen Brief habe ich erst vor einigen Tagen erbrochen, und Du hast ihn so geschrieben, daß er mich Deines guten Willens wegen freuen mußte, und deshalb weniger aufreitzen 5konnte. Für Deine Hülfe und Mühe meinen Dank. Fodere in jeder Lebenslage wieder von mir, was Du willst. Je mehr ich überlege, so ist die Sache so, wie ich sie geschildert habe, H.[usemann] und das Mädchen haben sie eingefädelt, 10und — meine Zuneigung hat mir bisher nicht erlaubt, es zu sagen — es ist dumm und schlecht, auf so elende Manier treubrüchig und flüchtig zu werden. Was Erhabenes vermuthete ich in der Henriot nicht, aber ehrlich und sicher wie Gold hielt ich sie. 15 Eben darum blieb ich vielleicht mehr als nöthig, wie ich war, aber ich fühlte mich doch besser werden, und wär' das auch nicht so gewesen — sie kannte mich längst, und wäre sie, statt blind abzubrechen, mich durch ein abscheuliches Benehmen zum Rückzug zu nöthigen, drohend, aber mit Liebe, 20hervorgetreten, ich hätte selbst ihre Launen erfüllt. Ueber diese Sache so kalt zu schreiben, gehört auch zur Ueberreife der Zeit. Wertheriade ist es nicht und wird nicht daraus, — ich bin schon weit verliebter gewesen als jetzt, — aber nach allen früheren Verliebereien und Wüsteneien, ohne 25irgend ein fremdes Interesse, deutlich zu sehen, daß man etwas Liebes, wofür man sorgt, haben muß (meinen Eltern bin ich Dank schuldig, aber sie lieb nennen, kann ich nicht), — dieses Liebe sich entgegenkommen zu sehen, wohl zu berechnen, daß alles gut geht, und, was das Schlimmste ist, das Ja zuerhalten 30, und Gott weiß aus welcher Erbärmlichkeit es unter fratzenhaften Drehungen gebrochen zu erblicken, — halte ich nicht aus. Alles, was Ehre, Treue, Liebe, Verstand heißt, wird mir dadurch verdächtig. Selbst bei Männern zweifle ich, und, wenn die auch diese Schätze noch hegten, ich bedurfte 35eines Weibes und mit ihr der Häuslichkeit. Von Stunde zu Stunde schlechter, in eigenen und fremden Arbeiten nachlässiger, oder (wie ich jetzt noch thue) im Fleiße Erholung suchend, aber ohne andren Zweck als sich selbst zu vergessen und nachher ein wo möglich triviales Gespräch (das 40Sprechen ist aber auch schon im Absterben) bei einem Glase
[GAA, Bd. V, S. 361]
Biers, einer Zigarre, oder einer Quote Wein wünschend, — Vieles lesend und studirend, selbst die Poesie in Regung fühlend, aber ohne zu wissen, wozu und wohin, — jede Stunde auf's Krankenbette oder in Wahnsinn stürzen könnend, — 5wohl etwas verdienen, aber wo nicht die Noth drückt, kaum es einfodern — alles und sich selbst verachtend — et sequentia (sit venia verbo), — ist keine gute Zukunfts-Aussicht. Bemerke ein Practisches: als ich mit Henriot im Verhältniß war, wurde ich nicht mehr krank, schrieb vom Ende des ersten 10Actes in Gedanken an sie den Napoleon, bildete mit Meien und Böger das Contingent, und legte erweislich hunderte zurück (nicht durch die Contingentsbildung), — ja, ich las Thibaut und Eusebii Kirchengeschichte mit wahrhaften Interesse noch beizu, — und jetzt, wo Buchhändlereien und Processe 15mir die günstigsten Aussichten zeigen, nichts von alle dem — komme im Vermögen schon retour, indem ich bald etwas von dem aufnehmen werde, was ich jüngst verliehen. Du bist mir im Grunde immer gut gewesen, — ich Dir auch, — Du stehst an Benehmen und Einsicht über mir, — darum 20spreche ich mich vor Dir aus wie vor einem Kriegsrath. Ich spreche leider stets zu viel von dem, was mich drückt, bei Dir aber mit Gründen. Ich glaube so viel werth zu seyn, und daß das Leben soviel werth seyn kann, jeden Hoffnungsstern festzuhalten. 25Du sprichst von dergleichen dunkel. Gut, ich will mit Dir reden. Aber glaub' mir, schließe ich oder schließt sich das nicht bald, so müßte ich mich selbst verachten, und das führte noch schlimmer einige Jahre später zum selben Ziel. Der Brief an H.[usemann] ist das letzte Mittel. Am Ende 30schmeichelt er aber dem Thier. Ein hübscher Rubin im Weiberhaar der p eines Anderen. Indeß der Brief wird doch wohl abgehen müssen. 4 Wochen Frist stehen darin als Letztes, womit ich mich dem H. auf's Spiel setze, damit er darin etwas versuche. 35 Diesen Brief habe ich nicht wieder überlesen. — Althof kommt. — Die Henriot habe ich darin geschimpft, aber ich liebe sie immer, denn sie schien es auch zu thun, und sagte: Ja. 40 Detmold. 8t Nov. 1831.
[GAA, Bd. V, S. 362]
Bitte sprich mit mir von der Sache nicht eher, als bis ich anfange. [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn HofgerichtsAssessor 5Petri allhier.
Wilhelm Arnold Eschenburg — Obristleutnant Friedrich Adolph Böger — Christian von Meien — Fürstlich Lippische Regierung — Karl Friedrich Simon GroskopfNr. 456, 28. April 1834 — Heinrich Christian Albrecht ClemenNr. 489, 13. Dezember 1834
1835
Karl Leberecht Immermann — Carl Georg Schreiner — Louise Christiane Grabbe