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Nr. 314, siehe GAA, Bd. V, S. 339nothumbnail
Fürstlich Lippisches Militärgericht (Detmold) an Fürstlich Lippische Regierung (Detmold)
Brief


15Nr 4812.

pr. 26 c

Detmold den 22sten Ju-

                ni 1831.
                                
20                                 Regierung!
    Gehorsamster Bericht
des Militairgerichtes,
ein Arrestgesuch der
Wittwe Joh.
25Conr. Koch allhier
gegen den Secondelieutenant
Runnenberg,
pto debiti,
              betreffend.    Laut des sub petito remissio-
30        nis angebogenen exhibiti vom
        heutigen Dato verlangt die

Wittwe Koch wegen einer eingestandenen Schuld des Secondelieutenant
Runnenberg von jetzt noch bis zur Bezahlung von
67 rthlrn. 19 gr. 3 pf Arrest auf dessen halbe Gage.

35  Das Militairgericht steht an, dieser Impetration im Wege
des gewöhnlichen Arrestverfahrens, wornach einem Beamten

[GAA, Bd. V, S. 340]

 


nach Analogie des Gesetzes vom 6t Mai 1783 wohl die halbe
Gage auf gewöhnliche Art beschlagen werden könnte, ohne
Anfrage an Hochfürstliche Regierung Folge zu leisten.

  Der Secondelieutenant Runnenberg steht auswärts im Felde,
5der Dienst des Vaterlandes geht einzelnen Interessen vor, und
Beschlag seiner Gagehälfte, wonach er nur 12 rthlr. monatlich
zu verzehren hätte, möchte denn doch im Auslande für ihn
hart seyn.

  Das Militairgericht glaubt, daß, da er die qu. Schuld wirklich
10anerkannt hat, in solchen Fällen, sofern er nicht andere liquide
Zahlungsmittel sicher anzugeben weiß, einem Officier vielleicht
höchstens ¼ oder ⅕ der Gage abgezogen werden könne,
(ausgenommen, daß er schon früher zu höheren Abzügen verpflichtet
war) und bittet gehorsamst und unvorgreiflich:

15              daß, da ähnliche Impetrationen eintreten können,
              Hochfürstliche Regierung legislative festsetzen mö-
              ge, ob überhaupt und wie bei im Felde
              stehenden Truppen vom Feldwebel auf (denn für
              Gemeine und Unterofficiere hat das Creditedict
20              vom 8t Dec. 1818 schon deutlich genug gesorgt,
              und möchten, obgleich es zweifelhaft gemacht wer-
              den könnte, unter den Unterofficieren sogar die
              Feldwebel dort mitverstanden seyn) Gageabzüge
              statt finden können? — Casu concreto
25              spricht für die Wittwe Koch sehr, daß die qu.
              Schuld zur Equipirung des Secondel. Run-
              nenberg gemacht war, welches zu erwähnen, man
              billig nicht unterlassen darf.

Detmold den 22st Juni 1831.

30                                    Grabbe.

 


314.

H: 2 Doppelbl. in 20; 4¾ Sp.
F: Acta das Schuldenmachen der Officiere, Unterofficiere und
Soldaten betr. 1818 [—1853]. (StAD. L 77 C Fach 33. M. Nr 6.)

S. 339, Z. 32 f.: Secondelieutenant Runnenberg: Georg Emil R.
war als jüngster der drei Söhne des alten Postmeisters R. am 18.
Mai 1804 zu Detmold geboren. Nachdem er acht Jahre lang das
dortige Gymnasium besucht hatte, widmete er sich dem Studium
der Rechtswissenschaft. Von Ostern 1825 bis Ostern 1827 war er
an der Universität in Jena eingeschrieben, von Ostern bis September
1827 an der Münchener. Unterm 24. Juni 1828 wurde er in die
Zahl der Advokaten aufgenommen und ihm die Ausübung der
Advokatur gestattet. Unterm 15. März 1831 wurde er zum Auditor
beim Amte Varenholz (beider Vogteien) bestimmt; da aber für das
nach Luxemburg marschierende lippische Kontingent Mangel an
Offizieren herrschte, so meldete sich R. zum Militärdienste und
erhielt unterm 12. April ein Patent als Volontär-Lieutenant mit der
Bedingung des Zurücktritts unter veränderten Verhältnissen. Am
folgenden Tage wurde er gemeinsam mit dem Advokaten Kestner
und dem Forstkandidaten Roth von Grabbe beeidigt, wovon uns
Ziegler (S. 85—87) eine Schilderung hinterlassen hat. Aus Luxemburg
zurückgekehrt, wurde R. zunächst mit 10 Rtlr. monatlich auf
Wartegeld gesetzt, am 3. April 1832 aber zum Garnisondienste zugelassen,
unter der Voraussetzung, daß er die juristische Beschäftigung
fortsetze, und unterm 29. April 1834 definitiv im Bataillon
angestellt. In der Folge mehrten sich nun die Klagen über seine
immer wiederholten Dienstwidrigkeiten, Unanständigkeiten und Unwürdigkeiten;
das über ihn angelegte Aktenstück (StAD. L 77 C
Fach 30 M. Nr 32) wurde immer voluminöser und offenbart einen

[Bd. b5, S. 642]

 


schwachen und haltlosen Charakter. Er erschien verspätet zum
Dienst, zeigte sich nachlässig beim Exerzieren der Rekruten, er betrank
sich und fing dann in gewöhnlichen Wirtschaften Skandal an.
Seine Kameraden beschwerten sich darüber, daß er durch solch
tadelnswertes und unehrenhaftes Verhalten das Offizierskorps kompromittiere,
und wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Alle
Verwarnungen und Androhungen der Dienstentlassung waren fruchtlos.
R. mußte Arreststrafen verbüßen und zeitweiße vom Dienste
dispensiert werden, worauf er durch eine Anzeige im „Intelligenzblatte“
(Nr 18 vom 4. Mai 1839, S. 157) juristische Arbeiten sich
zu beschaffen suchte. Nur ungewöhnliche Nachsicht, wie insbesondere
die Rücksicht auf achtungswerte Verwandte vermochten es, ihn
einige Jahre lang vor dem Schlimmsten zu bewahren. Am 19. April
1843 fand er sich wieder betrunken bei der Parade ein; er mußte
vom Chef des Bataillons sofort in Arrest geschickt und ihm der
Degen abgefordert werden. Nunmehr wurde eine Untersuchung durch
das Militär-Gericht angeordnet, es aber R. auf Verwendung seiner
Brüder überlassen, statt einer kriegsgerichtlichen Entscheidung um
seine Verabschiedung anzuhalten, welche sodann in Gnaden erfolgen
werde. R. zog das letztere vor. Unterm 30. August kam er um
seinen Abschied ein, der ihm unterm 5. September bewilligt wurde.
Fortan versuchte er, sich wieder als Advokat durchzubringen. Schwer
erkrankt mußte R. am 5. Juli 1848 in die Fürstliche Heil- und
Pflege-Anstalt Lindenhaus bei Lemgo aufgenommen werden; dort
ist er am 17. Aug. 1870 gestorben. Siehe auch Dewall S. 75, unter
Nr 138.
S. 339, Z. 30: exhibiti: exhibitum: Eingabe, eingereichte Schrift.
Sie ist nicht bekannt.
S. 339, Z. 35: Impetration: Erlangung, bes. eines Reskripts wider
den Gegner in Rechtssachen.
S. 340, Z. 1: nach Analogie des Gesetzes vom 6t Mai 1783: Die
„Verordnung wegen Cedirens, Assignirens und Verpfändens des
Gehalts, Gnadengehalts und Unterhaltsgelder aus der Witwenkasse,
von 1783“, „Gegeben Detmold den 6ten Mai 1783“, ist als Num.
XXX in Bd 3 der „Landes-Verordnungen der Grafschaft Lippe“
(Lemgo 1789), und zwar auf den S. 81—82 enthalten. Sie verbietet
„alles Cediren, Assigniren und Verpfänden des Gehalts [...] mit
Ausnahme eines Quartals, welches das laufende, oder das nächst
darauf folgende seyn kann“, und bestimmt den Willen des regierenden
Vormunds dahin, „daß kein Rendant, aus dessen Kasse solche
Gelder bezahlet werden, auf mehrere, oder andere Quartale Cession,
oder Assignation annehme, auch von keinem Gericht auf andere,
oder auf weitere Verpfändung erkannt, vielmehr der, welcher darüber
Gelder hergeschossen hat, des Ueberschusses verlustig erkläret
werde. Wie dann auch, wann auf solche Gelder beym Mangel
andern Vermögens, denn sonst hat ein Arrest darauf gar nicht statt,
dieser rechtmäßig nachgesuchet wird, solcher nie weiter, als auf ein
halbes Quartal erkannt werden soll.“
S. 340, Z. 19 f.: das Creditedict vom 8t Dec. 1818: Die „Verordnung,
das Schuldenmachen der Unteroffiziere und Soldaten betreffend
“, dat. vom 8ten Dez. 1818, ist als Num. CLXXXI in

[Bd. b5, S. 643]

 


Bd 6 der „Landes-Verordnungen des Fürstenthums Lippe“ (Lemgo
1832, S. 446—48) enthalten.