Nr. 286, siehe GAA, Bd. V, S. 317 | 15. Januar 1831 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Wolfgang Menzel (Stuttgart) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Hochgeehrtester Herr! Dank für Ihren Brief. Und nur keine Entschuldigung wegen Ihrer verzögerten Antwort: denn 1) antworten Schriftsteller 25in der Regel spät, und das muß seine Gründe haben, eben weil es so allgemein ist, — 2) weiß ich, daß Sie genug zu thun haben, und sehe, daß Sie überflüssig thun, — u. 3) ließ mich der Anblick Ihres Schreibens das Warten darauf sofort vergessen, ja — doch was hilft der wahre Ausdruck der Empfindung, 30wenn er für schmeichlerische Phrase gehalten werden kann? Indeß spricht die Natur der Sache für mich, — lang ersehnt, sehr willkommen pp. Die jetzige Zeit wirkt trefflich auf mich ein. Es ist juristisch erweislich, daß am selben Morgen als ich die lieben Ordonnanzen 35des zehnten Karls las und ihre Folgen für Frankreich ahnte, mir die Gicht aus den Füßen fuhr. — Warum, weiß [GAA, Bd. V, S. 318] ich nicht recht. — Oder, sollt' es seyn, verdauen wir endlich 6000 Jahre Weltgeschichte? — — Alle Staatsrevolutionen helfen aber doch nichts, wenn nicht auch jede Person sich selbst revolutionirt i. e. wahr gegen sich und andere wird. Darin 5steckt alle Tugend, alles Genie. Ist das toll von mir gedacht? Ich habe ein schweres Jahr gehabt. Die große Weltzeit hat eine kleine Vorzeit nicht ganz für mich verdrängen können — die Gicht ist fort, aber Nervenschläge treffen mich doch noch circa alle 4 Wochen mit schauderhafter Kraft. Dabei, als hiesiger 10Auditeur, Militairgeschäfte mehr als je — Verzeihen Sie daher wilde Briefe um so mehr als Briefe doch das hin und herspringende Gespräch ersetzen müssen, und vielleicht so besser sind, je mehr sie sich der Unbefangenheit der persönlichen Unterredung nähern. 15 Mein Napoleon ist in vollem Druck. Ich habe beinah zuviel in ihm vorausgesagt, soviel, daß, als die Begebenheiten rascher waren wie Abschreiber und Setzer, ich, um kein zu arger Prophet ex post zu seyn, Manches streichen mußte. Mein Verleger wird Ihnen das erste Exemplar schicken. 20 Sie wünschen mich populärer. Mit Recht. — Aber theatralischer? der Manier des jetzigen Theaters entgegenkommender? — Ich glaube, unser Theater muß dem Poeten mehr entgegenkommen. Das thut es aber weder durch Eröffnung pecuniären Gewinnstes, noch durch Darbietung tüchtiger Künstler. Wäre 25an das Schauspiel das gewendet, was in der letzten Syrupszeit an die Oper verschwendet ist, es ließe sich sogar ein Gothland aufführbar machen. Übrigens ist auch (natürlich nach meiner Einzelmeinung) das Drama nicht an die Bretter gebunden, — der geniale Schauspieler wirkt durch etwas ganz Anderes 30(NB. das „ganz Andere“ ist ein ekelhafter vager Ausdruck, — zu sagen, was ich damit meine, erfordert aber wohl scharf gewählte Worte, und das Auswählen würde diesen Brief um Wochen verzögern, oder 6 Seiten voll ungeordneter Gedanken, und die liefre ich nicht gerne. Hoffentlich einmal die Worte) 35als der Dichter, und das rechte Theater des Dichters ist doch — die Phantasie des Lesers. Die Eumeniden, die Sakontala, der ganze Shakespeare und unsere Zeit, die der Bühne über den Kopf wächst, beweisen es vielleicht. Vielleicht, — denn Sie scheinen anders zu denken, und das hätte mich bei Jedem 40stutzig gemacht, bei Ihnen macht es mich nachdenklich und zweifelhaft. [GAA, Bd. V, S. 319] Dank für Abdruck der Aschenbrödeleien, und moralisch und literarisch wird mir jedes Lob und jeder Tadel von Ihnen willkommner seyn als ich sagen mag. — Ich hatte im Juni v. J. über Goethes und Schillers Waschzettel-Wechsel eine 5breite Abhandlung geschrieben, in der aber nun manches zu spät, manches unzeitig seyn mag. Können Sie es gebrauchen, steht's zu Dienst. Verzeihung für das wüste Aussehen dieses Briefes. Ich vergaß im Eifer, daran zu denken, und hochachtungsvoll bin ich 10 Detmold den 15ten Januar 1831. Ew. Wohlgeboren ergebenster |
| | Briefauswahl | | | Briefe von Christian Dietrich Grabbe | | | Briefe an Christian Dietrich Grabbe | | | | Nach Absendern | | | | C | Wilhelm Hermann Claepius Nr. 84, 01. März 1824 — Christian Gottlieb Clostermeier — Louise Clostermeier — Louise Christiane Clostermeier | E | Wilhelm Arnold Eschenburg Nr. 378, 16. März 1833 — Examinationskommission Nr. 86, 28. März 1824 | F | Fürstlich Lippische Regierung Nr. 111, 14. November 1826Nr. 117, 09. Januar 1827Nr. 142, 31. Dezember 1827Nr. 146, 09. Januar 1828Nr. 150, 15. Januar 1828Nr. 159, 05. Februar 1828Nr. 160, 05. Februar 1828Nr. 161, 05. Februar 1828Nr. 168, 11. März 1828Nr. 252, 22. Dezember 1829Nr. 295, 09. April 1831Nr. 300, 17. April 1831Nr. 304, 13. May 1831Nr. 309, 27. May 1831Nr. 311, 31. May 1831Nr. 317, 28. Juni 1831Nr. 325, 30. Juli 1831Nr. 355, 20. März 1832Nr. 359, 15. May 1832Nr. 372, 19. Februar 1833Nr. 375, 12. März 1833Nr. 382, 28. März 1833Nr. 394, 04. Juni 1833Nr. 395, 04. Juni 1833Nr. 397, 08. Juni 1833Nr. 399, 11. Juni 1833Nr. 402, 27. Juni 1833Nr. 410, 16. Juli 1833Nr. 415, 22. Oktober 1833Nr. 417, 31. Dezember 1833Nr. 424, 01. Februar 1834Nr. 429, 11. Februar 1834Nr. 439, 18. Februar 1834Nr. 444, 11. März 1834Nr. 449, 25. März 1834Nr. 451, 01. April 1834Nr. 454, 15. April 1834Nr. 457, 06. May 1834Nr. 458, 13. May 1834Nr. 464, 09. September 1834Nr. 469, 16. September 1834Nr. 480, 18. November 1834Nr. 87, 02. Juni 1824 — Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 728, 07. September 1836 | G | Adolph Henrich Grabbe Nr. 29, 14. May 1820Nr. 30, 18. May 1820Nr. 31, 02. Juni 1820Nr. 32, 12. Juni 1820Nr. 33, 03. Juli 1820Nr. 34, 21. Juli 1820Nr. 35, 21. August 1820Nr. 36, 29. September 1820Nr. 43, 19. May 1822Nr. 47, 10. September 1822Nr. 54, 25. Dezember 1822Nr. 56, 05. Februar 1823Nr. 58, 18. Februar 1823Nr. 61, 28. März 1823Nr. 66, 25. April 1823Nr. 70, 30. May 1823 — Louise Christiane Grabbe — freunde Nr. 65, 24. April 1823 — Ludwig Christian Gustorf | H | Otto Carl August Ludwig Höpffner Nr. 62, 04. April 1823 — Johann Wilhelm von Hoffmann Nr. 379, 17. März 1833 | I | Karl Leberecht Immermann | J | Gotthelf Heinrich Jacobi Nr. 49, 21. November 1822 | K | Johann Karl August Kestner Nr. 178, 28. März 1828 — Karl Köchy | L | Fürst Leopold zur Lippe II. — Witwe Lohse Nr. 79, 23. November 1823 | M | Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 22, 03. März 1818 | P | Moritz Leopold Petri Nr. 700, 05. May 1836 | R | Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg | S | Carl Georg Schreiner | T | Ludwig Tieck Nr. 51, 06. Dezember 1822 |
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