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Nr. 265, siehe GAA, Bd. V, S. 300thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

        Handschrift Lieber Kettembeil,                    Keine Recension?

  habent sua fata libelli. Ich und das Publicum urtheilen
richtiger als Du, Don J. u. F. ist besser als Barbarossa, obgleich
20er genug Meerschaum hat, daß er bald sein Glück auch machen
wird. Frißt sich durch, und die Bewunderer werden wachsen
wie Pilze. Ja schnell die Recension in die Hall. Littztung
und die Scenen aus Aschenbrödel an Gubitz. Folgtest Du mir
als Verstandesmenschen, ich ließe Aschenbrödel doch drucken.
25Es wirkt gewiß, schon wegen der Angriffe, und der Witz
ist schärfer als im Lustspiel. Ich bitte, wie kannst Du
mir Witz absprechen? Hast erst neulich Landolph und Wilhelm
anerkannt. — Jede Dame, die ich kenne, setzt Barbarossa
unter D. J. u. F., jeder Herr Heinrich VI darüber, und ich
30auch, und mit dem allervollsten Rechte. Heinrich VI ist weit
gediegener, und hat keinen Fehler, keinen Schaum,
und Du irrest Dich über das Ding. — Vom D. J. u. F. las
ich neulich Notizen in der Eleganten. Don J. selbst wurde
sehr gelobt, nicht der Mephisto. Hell schreibt mir auch. —
35Jetzt an Lustspiele zu denken ist nicht Zeit. Napoleon ist im
Werden. Da hilft hoffentlich schon der Name, aber wir müssen
seiner würdig seyn. Übrigens kommen so ziemlich alle meine
Ideen über die Revolution hinein, und die sind gut und viel.
— Wann kommt denn endlich Heinrich VI? Er ist nöthig als

[GAA, Bd. V, S. 301]

 


etwas Erfrischendes, und Köchy und Pustkuchen mahnen mich
daran, indem bei einem Cyclus von Tragödien sie und die
meisten Recensenten, um sich nicht zu vergallopiren, lieber
schwiegen bis eine Folge käme.Handschrift  Mit den Geldgeschichten bin
5ich zufrieden und wollen die beiden folgenden Tiermine aussetzen.
Nur waren, da ich Deinen Brief vom 30 t v. M. erst
am 3t oder 4t d. M. erhalten, die 24 rthlr schon ausgenommen.


  Ich bin wieder kräftig, thätig, sogar etwas verliebt. Dieses
10Eine Jahr laß uns noch versuchen. Mußt mir aber freie
Gewalt über die Zeit geben, ob ich 2 oder 3 Stück schreibe,
brauchst mir auch nicht jeden Monat 24 rthlr. zu schicken,
mußt es mir nur vorher zeitig melden, aber, da ich mein ganzes
Vermögen arrangire, indem ich der Litteratur wegen die Advocatur
15aufgebe, und mich leicht ängstige, (was mich beim Dichten
stört) erklären, sowohl meine Stücke als die etwaigen erhaltenen
oder noch zu erhaltenden Summen, wären dons gratuits
und wir höben jede Ansprüche gegen einander auf. Das
geht auch, denn es stimmt theils mit unsren Contracten, theils
20wirst Du doch am Ende großen Vortheil ziehen, theils verlange
ich die 24 rthlr. ja nur nach Deinem Belieben, theils
habe ich Ruhe auf den Fall Deines oder meines Ablebens, der
ferne sey.

  Handschrift Wahrscheinlich komme ich nach Wiesbaden. Es wäre gut.
25Napoleon denk' ich ist Ende Juli fertig.

  Willst Du noch Selbstrecensionen? — Im Grunde haben
wir doch Glück genug, aber es muß wachsen, da wir es verdienen.
Anbei Druckfehlerverzeichniß zum B.[arbarossa.]
Vergleich' es, und setz' es hinter Heinrich den Sechsten. (Spüre
30doch mal, ob der Tieck nicht machinirt. Hell ist ihm nicht
gut, und Böttiger eben so wie Hell.)
   Stets Dein
  Detmold d. 8t April. 1830.    alter Grabbe.

  [Adresse:] Handschrift An den Herrn Buchhändler Kettembeil Wohlgeboren
35(Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main.

 


265.

H: Doppelbl. in 40; 2S., Adresse auf S. 4.
  Auf S. 4 Vermerk des Empfängers: 1830 Grabbe in Detmold den
8 April Abgangsstempel: DETTMOLD 8/4 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 11. APR. 1830
F: GrA
D: WBl IV 446—48, als Nr 22.

S. 300, Z. 18: habent sua fata libelli: Der lateinische Grammatiker,
Metriker und Dichter Terentianus Maurus, der wohl im
späten zweiten nachchristlichen Jahrhundert gelebt hat, schrieb ein
Gedicht „De literis, syllabis et metris“. Ein Teil davon ist das
„Carmen heroicum'“, und dessen Vers 258 lautet:
  (Pro captu lectoris) habent sua fata libelli.
  (Ganz wie der Leser sie faßt,) so haben die Büchlein ihr Schicksal.
S. 300, Z. 22: die Recension in die Hall. Littztung: Da deren
Besprechung des „Don Juan und Faust“ bereits in der Nr 111 der
Ergänzungsblätter vom Oktober 1829 gestanden hatte, so kann
Grabbe nur eine solche des „Kaiser Friedrich Barbarossa“ meinen.
Dessen Ankündigung findet sich im „Intelligenzblatt“ Nr 75 der
„Allgemeinen Literatur-Zeitung“ vom Sept. 1829; eine Rezension
dagegen hat diese nicht gebracht.
S. 300, Z. 33: Notizen in der Eleganten: Die Notiz findet sich
in Jg. 30 der „Zeitung für die elegante Welt, Nr 11 vom 15.
Januar 1830, Sp. 88 und lautet:
  „In Detmold wurde vor einiger Zeit von der Pichler'schen Schauspielergesellschaft
des genialen Grabbe Don Juan und Faust nach
den vom Verfasser selbst genehmigten Abänderungen und unter seiner
Leitung (er ist bekanntlich Regimentsauditeur daselbst) recht
gut gegeben und gefiel. Wenn man uns ein Urtheil über dieses
Drama erlaubt, und hier der Ort dazu ist, so müssen wir bekennen,
daß uns der Teufel gar jämmerlich gezeichnet erscheint; es ist
weder Göthe's humoristischer Mephistopheles, noch Milton's und

[Bd. b5, S. 614]

 


Klopstock's gewaltiger Satan, der mit Gigantentrotz den Himmel
stürmen will. Auch spielt Faust neben Don Juan wohl eine zu
untergeordnete Rolle und tritt neben dem recht con amore gezeichneten
Wüstling zu sehr in den Hintergrund zurück.
                                 n. n.
  Sie ist wiederabgedr. in: „Grabbes Werke in der zeitgenössischen
Kritik“, hrsg. von Alfred Bergmann, Bd 2, Detmold 1960, S. 89,
unter Nr 19.
S. 300, Z. 34: Hell schreibt mir auch: Dieser Brief ist nicht bekannt.

S. 301, Z. 1 f.: Köchy und Pustkuchen mahnen mich daran: Wohl
in nicht erhaltenen Briefen.
S. 301, Z. 17 f.: dons gratuits: freiwillige Geschenke.