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Nr. 191, siehe GAA, Bd. V, S. 243nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Louise Clostermeier (Detmold)
Brief

        Hochgeehrteste Frau Archivräthin!

  Darf ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen und Ihrem Fräulein
30Tochter Beiliegendes sub pet.[ito] rem.[issionis] mitzutheilen?
Ich denke, den p. Preuß unbedingt wegen Verspätung
p. p. abzuweisen.
   Ich bin hochachtungsvollst
                                    Wohlgeboren
  Detmold den 24st April 1828    gehorsamster Grabbe.

[GAA, Bd. V, S. 244]

 

 


191.

H: Doppelbl. in 20; ¾ S.
F: Rotb.

S. 243, Z. 30: sub pet.[ito] rem.[issionis]: mit der Bitte um
Rückgabe.
  Bei den Clostermeierschen Frauen war inzwischen wohl eine
ruhigere Betrachtung der Dinge und eine versöhnlichere Stimmung
eingekehrt: So konnte es nicht ausbleiben, daß der abgebrochene
unmittelbare Verkehr mit Grabbe doch sehr bald schon wiederaufgenommen
wurde. Zuerst wandte sich Louise Clostermeier, ob
schriftlich oder mündlich, ist unbekannt, mit allerhand Wünschen
an ihn. Grabbe antwortete persönlich (Nr 185), schrieb dann auch
wieder persönlich an die Archivrätin. (Nr 186.) Eine mündliche
Aussprache sorgte für weiteren Ausgleich (vgl. Verweis zum Kommentar Nr 188); so fand
sich die Archivrätin am Ende bereit, ihre Eingabe an das Militärgericht
vom 15. März teilweise zurückzunehmen. (Nr 190.)
  Nachdem die Auktion stattgefunden hatte, war Louise Clostermeier
in der Lage, ihre Kusine im allgemeinen über die Höhe der
Schulden des verstorbenen Bruders zu unterrichten, und ferner,
durch einen geeigneten Vorschlag die Tilgung jener Ehrenschuld an
Grabbe zu betreiben. Ihr umfassender Bericht ist vom 26. April.
Wenn sie, so beginnt er, auf das Schreiben vom 5. März erst nach
so langem Verzug antworte, so sei dies nicht der Krankheit zuzuschreiben,
die sie während dieser Zeit erduldet habe und von der
sie noch nicht genesen sei 1, sondern dem Mangel an gehörigem
Aufschluß über den wahrhaft höchst traurigen Schuldenzustand des
armen Wilhelm.
  Regierungsrat v. Meien, der Militärreferent, habe als solcher den

[Bd. b5, S. 567]

 


Verstorbenen stets schonungslos und hart behandelt 2. Obgleich ihm
dessen Umstände bekannt gewesen seien, habe er dennoch dem Militärgericht
die Aufforderung an die Kreditoren durch die Zeitungen
zur Pflicht gemacht 3. Wie viel und mit welcher Summe sie sich
gemeldet, wage sie nicht, ihr auszusprechen. Jedoch sei ihr zum
Troste gesagt, daß sie größtenteils schon abgewiesen seien, so z. B.
der Postmeister Gösling in Pyrmont 4. Wörtlich heißt es dann weiter:
„Mit der Erzählung von ähnlichen Fällen würde ich diesen Bogen
füllen u. ich muß also davon schweigen u. Dich bitten überzeugt zu
seyn, daß alles, so wohl Dein, als Deines sel. B.[ruders] Bestes sich
in guten Händen befindet. Hr. Grabbe ist am Militairgericht der
Nachfolger deines B. als Auditeur geworden. Er ist auch zugleich
Advocat u. deswegen haben wir ihm jetzt die Verhandlungen mit
den Creditoren allein überlassen. Früher mußten wir uns mündlicher
Verhandlungen wegen mit dem Militairgericht einmal eines
andern Advocaten bedienen. Denjenigen Creditoren deren Forderungen
neu u. ihre Richtigkeit klar ist, legt das Militairgericht den
Eid auf u. biethet ihnen theils die Hälfte theils ein ⅓ ihrer Forderung
an.
  Grabbe hat mit diesem Geschäft eine unendliche Last, gegenwärtig
fast täglich sieht er sich genöthigt mit mir deshalb zu correspondiren.

  Darauf berichtet Louise von dem Ergebnis der Versteigerung und
bittet um Uebersendung der ihr in Aussicht gestellten 200 Gulden
zur Tilgung der Schulden. „Ob sich alle Creditoren“, so fährt sie
fort, „willig zur Ruhe verweisen lassen, oder einige klagbar werden,
müssen wir noch erwarten, doch hoffen wir das Beste, denn Grabbe
thut alles mögliche um sie zu beschwichtigen. So hat er noch am
21. d. M. einen Namens Preuß in Meinberg, der, wie wir vom sel.
Wilhelm selbst wissen, ihm 15. Thlr. baar geliehen hatte, mit seiner
Forderung deshalb rein abgewiesen, weil er sich während des Termins
vom 24. März damit nicht eingefunden hatte. Dieser arme
Teufel war nämlich um diese Zeit im Auslande 5. Aus demselben
Grunde ist auch die Forderung eines Detmolders von 20. Thlr.
nicht angenommen worden.“
  Nachdem Louise eine persönliche Angelegenheit des Verstorbenen
besprochen hat, wendet sie sich der Verpflichtung gegen Grabbe
zu. Sie schreibt: „Du wünsch[s]t, 1. L., daß Grabbe die zu einem
Geschenk bestimmten 20. Thlr. baar erhalten möge, u. dies soll
auch geschehen, doch erlaube ich mir, da Du die Verhältnisse u.
Umstände nicht kennst, noch eine Vorstellung. Grabbe ist ein ganz
besonderer, höchsteigener Mensch, ich denke er könne sich über ein
kleines sichtbares Andenken vom sel. Wilhelm sehr erfreuen, ein
Geldgeschenk hingegen fürchte ich möchte ihn unzart berühren. Zu
letzterem würden auch 20 Thr. zu wenig seyn. Denn er hat mit
den sel. Wilhelm seinen in große Verwirrung u. Unordnung gerathenen
Geschäften, wovon ich schweigen muß, eine unsägliche Last
gehabt, ferner die Pässe u. Heirathsconsense ohne die geringste
Belohnung willig ausgefertiget u. endlich war ein sichtbares Andenken,
worüber er sich oftmals aussprach der Wunsch des Verstorbenen
selbst. Daß Wilhelm Grund hatte die Besorgung eines Geschenks
für Grabbe uns zur Gewissenssache zu machen, kann ich
Dir heilig versichern. Schriftlich läßt sich nicht alles mittheilen; aber
traue meinem Ehrenwort.
  Da Grabbe wie wir erfahren noch bis jetzt keine Tafeluhr besitzt,
so dachten wir für diese 20. Thlr. eine solche zu kaufen u. die
dazu vielleicht nöthige höhere Summe wollte Mama mit Freuden
zuschießen. Wir beförderten dann ganz heimlich diese Uhr in Grabbes
Zimmer mit einem Billet unter Wilhelms Namen verfaßt als
sende er ihm aus dem Elisium diese Uhr zu seinen Andenken.
  Ich habe Dir nun 1. L. offenherzig unsere Meinung mitgetheilt;
doch weit entfernt davon Dir auf irgend eine Weise vorgreifen
zu wollen. Du hast allein zu befehlen, die genaue Erfüllung Deiner
Wünsche liegt uns am Herzen.
  Es wird ja wohl in Mannheim an Leihbibliotheken nicht fehlen;
lasse Dir Grabbe's, in der Herman[n]schen Buchh. zu Frankf. herausgekommenen,
dramat. Dichtungen in 2. Theilen geben. Du wirst
ihn einigermaßen darin erkennen.
  Hofm. Piderit hat seine Ansprüche an dem Nachlaß des Seligen
bei dem Militairgericht geltend gemacht, u. Grabbe hat ihm in
Deinen Namen u. mit Deinem Danke für sei[ne] aerztlichen Bemühungen
die bestimmten 20. Thlr. am 19. April übersandt.“
  Der Rest des Schreibens kann außer Betracht bleiben. Dafür sei
erwähnt, daß das Geschenk einer Tafeluhr (für 26 Tlr. 18 Gr.)
wirklich zustande gekommen ist.


   1 Ihr Krankheitsübel erwähnt Louise auch schon in den Briefen
vom 11. Januar und vom 18. Februar. Im ersten entschuldigt sie
damit die schlechte Schrift und meint, es bestehe vorzüglich in
Kongestion nach dem Kopfe; im zweiten soll das noch stets fortwährende
Uebelbefinden, „welches vorzüglich in Kopfschmerz,
Schwindel pp. besteht“, die späte Antwort erklären.


   2 In dem Briefe vom 11. Januar heißt es dagegen in einer freilich
gestrichenen Stelle: „Die Regierung hat den armen Vetter gut behandelt,
sein ganzer Gehalt blieb ihm als Pension u die Ausfertigung
der Pässe u. Heiraths-Consense überließ sie ihm als eine Erwerbsquelle
noch in seinen Händen. Er konnte ihr aber auch nicht mehr
vorstehen, u. Grabbe, ein edler Mann, übernahm auch dies Geschäft
für ihn u. [hat] ihm die Gebühren bei Heller u. Pf. überlassen.“


   3 In Wirklichkeit ist der Vorschlag der Ediktalzitation vom Militärgerichte
ausgegangen.

[Bd. b5, S. 568]

 


   4 In Wirklichkeit hat Gösling später doch mit einer Teilzahlung
abgefunden werden müssen.


   5 Auch Preuß ist mit 5 Rtlrn. abgefunden worden, wie sich aus
Nr 242, Anl. A ergibt. Vgl. Verweis zum Kommentar S. 282, Z. 33 f.