Nr. 141, siehe GAA, Bd. V, S. 193 | 28. Dezember 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Alter Freund, die Iris-Recension gefällt mir, sie nützt uns, wir sind doch 30außerordentlich oder ungeheuer, auch geht sie nur bis pag. 25 und doch 2 Blätter. Den 2 ten Band hat aber der Rec. offenbar nicht gelesen, er hätte den Poeten sonst im Allgemeinen anders beurtheilt. Man sieht aber, daß es passable mit uns gehen wird, wenn auch nicht mit geistiger, doch mit geldlicher 35Anerkennung. Ich eine Recension in die Hallesche Literaturzeitung? Wohlan! Kurz und schlecht: Dramatische pp.. „Der Verfasser (wie es scheint ein juristischer Geschäftsmann [GAA, Bd. V, S. 194] in der Stadt Detmold im Fürstenthum Lippe) eröffnet die Vorrede zu diesem Buche mit der Erklärung, daß ihm seine jetzt gedruckten dramatischen Werke längst fremd geworden seyen. Die Vorrede ist in einem so kalten, sich selbst belächelnden 5Style geschrieben, daß man diesem Geständniß fast Glauben schenken könnte. Die hier gedruckten Stücke bestehen in Herzog pp Trauerspiel pp, N. u. M. e. t. Sp., S. S. I. u. t. B. e. L. pp, M. u. Sulla, e. Tr., und in einer Abhandlung über die Shakspearomanie. Dem Herzog Gothland ist ein Schreiben 10L. Tiecks vom 6 Dec. 1822 beigedruckt, nach welchem ihm zwar „ein wahres Urtheil grade bei diesem Stück schwer fällt,“ aber das Resultat darin besteht, daß das Werk „ihn angezogen pp — gewonnen“. Rec. hat lange Jahre den Gang der poetischen Literatur 15beobachtet, aber eine im Ganzen so niederschlagende und dennoch hie und da erhebende Erscheinung wie diese dramatischen Dichtungen bilden, ist ihm noch nie vorgekommen. Offenbar ist der Verfasser in mehr als einer Rücksicht untergegangen, mit Ernst und mit Spott scheint er alles Sittliche und Ideale 20zertrümmert zu haben, er selbst ist mit sich uneins, er ist sich nichts, deshalb ihm auch die Welt. Die Tragödie Gothland enthält den Kampf eines Negers (Berdoa) mit dem Herzoge Gothland, dem Repräsentanten der Europäer. Der Neger ist mit Farben gezeichnet schwarz 25wie er selbst, und Gothland, ein kühner, aber schwacher Mensch, erstarrt endlich zu einem Bösewicht, der den Neger noch überbietet. Beide Personen bekämpfen unter vielen Wechselfällen sich fortdauernd und gehen endlich beide unter. Das Merkwürdige bleibt dabei, wie bei den trefflichsten poetischen 30Stellen, fast auf jeder Seite, wirklich mit dem Neger ein wahrer Samum verheerend durch das Stück weht, der alles Gemüthliche und rein Menschliche darin zerstört. Wenn Berdoa „fast mit Vision“ sagt: „Sinne öffnet eure Thore 35Amen“ so bezeichnet er damit nur den Geist des Stückes. Rec. scheut sich, hier ein Mehreres auszuziehen, nur den neugierigen Kenner könnte er dabei interessiren, — dem Verfasser indeß ist zu rathen, nicht im Zerstören, sondern im Aufbauen 40des Edlen seinen Ruhm zu suchen. Das tragische Spiel „Nannette und Maria“ ist eine Skizze, [GAA, Bd. V, S. 195] nichts weiter. Es sind jedoch Scenen darin wie sie sich nur in den besten Liebestragödien vorfinden mögen; man nehme nur die erste, die wir hier zur Probe ganz abdrucken lassen 5Wie schön und naiv! — — aber der Dichter scheint Langeweile gefühlt und Ende des 3t Acts alles über den Haufen geworfen zu haben. „Scherz, Satire pp — —.“, ein Lustspiel, wird bei Jedem lautes Lachen erregen, doch im Grunde nur ein Lachen der 10Verzweiflung. Um alles zu verspotten bemüht der Verfasser den Teufel, seine Großmutter, ja, sich selbst in dieses Stück hinein; nichts in Literatur und Leben bleibt unversehrt, — man lese z. B. die 2te Scene des 2t Actes „Rattengift pp Ach die Gedanken — — mittheilen 15 will“. Schon in diesem weder im Guten noch Schlimmen eben ausgezeichneten Probestücke findet man leicht die Idee, auf welche der Dichter hinausgeht. Viel wohler wird es Rec. nunmehr vom Marius und S., 20einem Trauerspiel, und von der Shakspearomanie, einer Abhandlung, reden zu können. Marius und Sulla, noch unvollendet, bietet, besonders im 2ten Acte, eben so geschichtliche als ergreifende Scenen dar. Selbst Shakspeare hat nie trefflichere Volksscenen gezeichnet als wir sie hie (Act 2, 25Sc. 2) finden. Sextus „Wem gehört dieser Palast — — Säulen in Stücken“. Und wo sind die Gefühle des Marius auf Carthagos Trümmern dichterischer geschildert worden als in Act 1. Sc. 1 30Marius „Unermeßliche — zweitenmale.“ Dennoch ist Marius gegen den Sulla, der sich dadurch characterisirt daß er sagt „Der Pöbel irrt sich pp — hetze“ 35unbedeutend. Marius stirbt mit sehr poetischen Floskeln: „Zwei Schlachtfelder pp — geselle“ und „Fort, fort, mit pp — Sterben“ aber Sulla, von dem es heißt: „Der Erdball pp — Lächeln“ 40verläßt mitten im Triumphzuge seine Dictatorstelle und ist dadurch um so größer. [GAA, Bd. V, S. 196] Die Abhandlung über die Shakspearomanie ist vielleicht das Beste des Buches. Nur wundert es Rec. wie ein so gelehrter und kritischer Dichter, als hier der Verf. sich ausweis't, selbst so weit gegen seine eigenen Regeln in seinen Stücken 5sündigen konnte. Shakspeares Verhältniß zur altenglischen Bühne, sein Auftreten und seine Verbreitung in Deutschland, sein eigener Werth und der Werth seiner Kritiker (Lessing, Schlegel, Tieck pp.), der Nutzen und Schaden, den die ihm gewordene unbedingte Bewundrung gestiftet, sind meisterhaft 10geschildert. Man muß dem Verf. dieser Dichtungen bedeutende Objectivität und Phantasie zugestehen, Tragik und Komik so wie die verschiedenartigsten Charactere scheinen ihm gleich geläufig aus der Feder zu fließen. Dennoch spürt man in seinen Stücken 15überall nur die Trümmer einer zerstörten Subjectivität; der Verf. hat Ruinen gemacht, um daraus neu zu bauen; seine Werke erfreuen nicht, aber erschüttern, und schwerlich wird oder kann ein Mensch wie der Verf. ferner etwas leisten. u.“ Amicissime, füll' die Lücken. Daß Du vieles angezeigt, ist 20klug; alles hilft. Der Lärm geht los. Den Herrn Kunz laß nur helfen; jemehr geschimpft, je besser vertheidigt. Wer schimpft ist ein Narr, denn er greift an, und der Angreifende ist stets übler dran als der Vertheidiger. Die erscheinenden Recensionen schick' mir nur baldmöglichst, 25immer auf meine Kosten, zur Ansicht oder zum Behalten. Du thust mir einen Gefallen. Verschickst Du unsre Sachen, so beobachte doch, ob nicht 2ter und 1ster Theil die nämlichen sind; der Buchbinder hat sich bisweilen, wie ich spüre, geirrt. Ich bin hier in guten Wegen. 30Alles wurmt, ich muß nur Erfog sehen, und noch lieber einen Brief von Dir. Meinen Brief füllt jetzt die verdammte Recension, an der Du bessern magst. Bald mehr. Gestört werde ich immer, auch jetzt durch ein sehr langes Gesicht. Dein 35 alter schiefbeiniger, doch erträglicher Ch. D. Grabbe. Detmold den 28 st. Dec. 1827. [Adresse:] An die Herrmannsche Buchhandlung Wohllöblich (Buchhändler Kettembeil) in Frankfurt am Main. Frei. [GAA, Bd. V, S. 197] |
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