Nr. 140, siehe GAA, Bd. V, S. 192 | 22. Dezember 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Friedrich Wilhelm Gubitz (Berlin) | Brief | | | | Vorangehend: keine | Nachfolgend: |
| Hochgeehrtester Herr Professor! Vielleicht erinnern Ewr Wohlgeboren sich meiner noch aus früherer Zeit, wo ich durch ein Drama, Namens Gothland, und durch Heine und Köchy bei Ihnen introducirt wurde. 25Dieser Gothland und mehrere andere Stücke sind jetzt gedruckt und hoffe ich, daß der Verleger auf meine Bitte Ihnen bereits ein Exemplar mit einem für Sie von mir bestimmten Schreiben zugeschickt hat (sonst stehe ich noch immer zu 30Diensten) und daß Sie in Ihrem gediegenen Gesellschafter eine Erwähnung darüber ergehen lassen werden. Diese Erwähnung falle aus wie sie wolle, ich werde mich schon an sich dadurch geehrt fühlen. — Anbei übersende ich eine Theaterrecension von hier, mit der Bitte, sie baldgefälligst im Gesellschafter aufnehmen zu wollen; auch brauchen Sie 35dabei auf Anfragen meinen Namen nicht zu verheimlichen. Die Pichler'sche Gesellschaft verdient wirklich eine öffentliche [GAA, Bd. V, S. 193] Beurtheilung, besonders jetzt, wo der Fürst zur Lippe sie sehr liberal unterstützt (er hat z. B. ein Schauspielhaus bauen lassen, größer als das Leipziger), auch ist diese Gesellschaft die erste in Westphalen, wie denn auch ihre Hauptglieder 5in der ersten Stadt Westphalens, in Münster, sehr beliebt sind; weder Eßlair, Devrient, die Stich pp haben es verschmäht in Pyrmont bei dem Hrn. Pichler Gastrollen zu einer Zeit zu geben, wo seine Gesellschaft im Ganzen und Einzelnen nicht so bedeutend war als jetzt. 10 Ewr Wohlgeboren erzeigen mit baldiger Aufnahme der Recension manchem Westphalen einen Gefallen, auch hoffe ich, daß dieselbe Manches enthält, was dem Nicht-Westphalen interessant seyn kann. Ob Ihre Geschäfte Ihnen eine Antwort an mich verstatten, weiß ich leider nicht, so sehr ich 15sie auch wünschen müßte. Wäre es möglich, so würde die Übersendung des Blattes des Gesellschafters, in dem die Recension abgedruckt stünde, mir angenehm seyn, wenn auch auf meine Kosten. Ich bin mit alter, vollkommenster Hochachtung 20 Wohlgeboren Grabbe in Detmold.) Detmold den 22 sten Dec. 25 1827. [Adresse:] An den Herrn Professor Gubitz (Redaction des Gesellschafters) Wohlgeboren in Berlin. Frei. |
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140.
H: Doppelbl. in 40; 2 S., Adresse auf S. 4.
Auf S. 4: Abgangsstempel: DETTMOLD 27/12 Ankunftsstempel:
N 31/12 2
F: Berlin, Carl Robert Lessings Bücher- und Handschriftensammlung.
(Aufgeführt in Bd 2 des Katalogs, Berlin 1915, S. 75, unter
Nr 1682. — Infolge Kriegsauslagerung wahrscheinlich verloren.)
T1: Schriftsteller-Briefe. I. In: Der Gesellschafter oder Blätter für
Geist und Herz. 1stes Blatt. 1. Jan. 1840. S. 3.
T2: F.[riedrich] W.[ilhelm] Gubitz: „Erlebnisse. Nach Erinnerungen
und Aufzeichnungen.“ Bd 2. Berlin, Vereins-Buchhandlung 1868.
S. 253.
T1 gibt das Original nicht getreu wieder; vielmehr hat dieses vor
der Veröffentlichung durch den Empfänger eine Veränderung durchgemacht.
Diese besteht, von kleineren Abweichungen abgesehen, vor
allem darin, daß an zwei Stellen relativ umfangreiche Einschaltungen
vorgenommen worden sind. Zunächst ist der Punkt nach introducirt
wurde in ein Komma verwandelt, das darauffolgende Dieser
gestrichen, und nun zwischen den Zeilen eingesetzt worden: und
wo Sie mir viel Angenehmes über mein Drama sagten, über Einiges
darin aber fast bis zum Zorn unwillig, dabei aber nicht im Unrecht
waren. Dieser, etwas veränderte. Zweitens sind nach den Worten
geehrt fühlen. am Rande folgende hinzugefügt: Am liebsten wär's
mir freilich, wenn Sie selbst mein Buch besprächen, da Sie mehr
von meinem Wesen kennen als ein Anderer; wer Sie aber in Ihren
Arbeiten sah, der denkt nicht leicht daran, sie Ihnen zu vermehren.
Daß Grabbe selbst diese Einschaltungen in den ursprünglichen
Text vorgenommen habe, schließt schon der Umstand aus, daß
sie mit Blei geschrieben sind. Vielmehr wird Gubitz selbst der Urheber
sein, von dem wir wissen, daß er auch in Goethes sogenannte
Theaterbriefe „bisweilen ganze Sätze und Perioden eingeschoben“
hat. (Vgl. Wilhelm Arndt in Bd 3 des „Goethe-Jahrbuchs“, S. 351.)
Nicht unwahrscheinlich wird es sein, daß er sie dem in dem Briefe
( S. 192, Z. 27 f.) erwähnten Begleitschreiben entnommen hat, welches
seitdem verschollen ist. Vgl. im übrigen dazu wie zur Druckgeschichte
des Briefes die bei Brief Nr 167 genannte Veröffentlichung
des Bearbeiters in den „Berlinischen Blättern“, S. 51—52.
[Bd. b5, S. 540]
S. 192, Z. 30: eine Erwähnung darüber: Die umfangreiche, mit
'Pr.' unterzeichnete Besprechung der „Dramatischen Dichtungen“ ist
bereits am 24. Dezember 1827 im 205ten Blatte des „Gesellschafters“,
S. 1023—28, erschienen.
Wiederabgedr. in: „Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik“,
hrsg. von Alfred Bergmann, Bd 1, Detmold 1958, S. 13—15, unter
Nr 3.
S. 193, Z. 3: größer als das Leipziger: Diese Behauptung entspricht
den Tatsachen keineswegs. Denn wenn man das Fassungsvermögen
zum Maßstabe wählt, so läßt sich über die beiden Theater
folgendes sagen: Das damalige Detmolder war nach dem ursprünglichen
Plane für etwa 800 Personen bestimmt (vgl. O. Frhr. v.
Meysenbug, „Beiträge zur Geschichte des musikalischen und theatralischen
Lebens in Detmold. IV. Der Bau des Fürstlichen Schauspielhauses
1825.“ In: „Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und
Landeskunde“ Bd X, Detmold 1914, S. 211), und nach der Vollendung
des Baus bot es, nach einer persönlichen Auskunft des ebengenannten
Verfassers, sogar nur Raum für 600, wozu allerdings
noch eine größere Anzahl von Stehplätzen gerechnet werden müssen.
Dagegen heißt es über das damalige Leipziger Theater in Friedrich
Schulzes Werk „Hundert Jahre Leipziger Stadttheater“ (Leipzig,
Breitkopf & Härtel, 1917) S. 9: „Nach [Friedrich] Weinbrenners
[, des Erbauers,] Angaben faßte dieser Zuschauerraum 'bequem'
13—1400 Personen, was aber in Wirklichkeit etwas zu hoch gegriffen
war.“
S. 193, Z. 1 f.: wo der Fürst zur Lippe sie sehr liberal unterstützt
[usw.]: Von der Theaterleidenschaft Leopolds II. erzählt
Malwida von Meysenbug in ihren „Memoiren einer Idealistin“
(Bd 1, Stuttgart, Auerbach 1876, S. 50—51) und in deren Nachtrag:
„Der Lebensabend einer Idealistin“ (Bd 2, Neue Ausg., Berlin,
Schuster & Loeffler 1917, S. 32).
S. 193, Z. 7: in Pyrmont bei dem Hrn. Pichler Gastrollen: Von
einem Gastspiel der Auguste Stich weiß weder Heinz Stolz („Die
Entwicklung der Bühnenverhältnisse Westfalens von 1700—1850.“
Dissertation Münster, 1909, S. 52 ff.) zu berichten, noch nimmt
Freiherr v. Meysenbug, der vom Bearbeiter darüber befragt worden
ist, auf Grund seiner Kenntnis der Theaterakten ein solches
an. Dagegen gastierten sowohl Devrient wie Eßlair, und zwar in
den Jahren 1822—24, bei der Pichlerschen Truppe. (A.a.O. S. 59.)
Insbesondere trat Eßlair „in der Saison 1824 in Münster und Osnabrück
in seinen Hauptrollen auf und unter seiner Mitwirkung
wurden Tell, Otto v. Wittelsbach (von Babo), die Schuld, Wallenstein,
Macbeth, Lear usw. glanzvoll aufgeführt.“ (A.a.O. S. 57.)
Ueber ein späteres Gastspiel Eßlairs bei Pichler, im Mai 1826 in
Osnabrück, hat den Bearbeiter Freiherr v. Meysenbug unterrichtet.
S. 193, Z. 6: Eßlair: Siehe die Anm. zu S. 47, Z. 9.
S. 193, Z. 6: Devrient: Der Schauspieler Ludwig D. (1784—1832),
seit 1815 Mitglied der Berliner Bühne.
S. 193, Z. 6: die Stich: Siehe die Anm. zu Bd 2, S. 537, Z. 21 f.
(S. 800—801).
[Bd. b5, S. 541]