Nr. 139, siehe GAA, Bd. V, S. 190 | 02. Dezember 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Bester Freund, auch diesen Brief muß ich in größter Eile vor Abgang der Post schreiben, um umgehend auf Dein eben angekommenes Schreiben zu antworten. Wir sind in Kampf mit dem Publico 5getreten und im Kampf ist Schnelligkeit schon ein halbes Genie. Darum bitt' ich, antworte dem Herrn Kunz (dessen Brief ich wenigstens für einige Zeit wohl zurückbehalten darf) baldmöglichst; sag' ihm von mir, was Dir gutdünckt (in ähnlichen Fällen richte Dich nur immer auch ohne meine ausdrückliche 10Zustimmung nach Deinem Gutfinden), bezeichne ihm meine bürgerliche Lage als Auditeur und Advocat hierselbst pp. Etwas kennst Du von den Verhältnissen, die auf mich eingewirkt; ganz kann ich sie Niemanden, oder Dir höchstens mündlich einmal vertrauen; Sohn ziemlich geringer 15Eltern (jetzt statt ? — Zuchtmeister, Zuchthausverwalter), mitten in Gefängnißscenen als Kind erwachsen, sodann selbstständig und ohne Controlle die Schule besuchend, in den höchsten Ständen Zuneigung findend, früher bloß Wissenschaft liebend, besonders Diplomatik und zu diesem Fache bestimmt, 20— dann — dann — in innere und äußere Abgründe, die ich stets bestmöglich verstecken mußte und muß, — Haß auf die detmoldischen kleinlichen Umgebungen a priori und doch jedem schmeichelnd, — Leipzig, Berlin, — durch Tiecks Ruf in Dresden, — vor Kunstgeschwätzen und — daraus fortgegangen, 25— nun in ein vielfaches Geschäftsleben als Jurist geworfen, — braue daraus pp, was Du magst. Der Pöbel (wozu mancher Autor gehört) entscheidet mit seinen Stimmen nichts; tausend und tausendmal werden Individuen aus ihm sich gegen uns erheben; das Beispiel des 30Kunz, früher Tiecks, zur Noth Wends p zeigt aber, daß die Besseren anders reden werden, und diesen folgt zuletzt überall der Haufe. Ich werde gar nicht ärgerlich, wenn Jemand die Sachen tadelt; das wußte ich vorher. Der Tadel selbst wird aber öffentlich ganz gewiß in toto so ausfallen, daß unsere 35Sachen nur Aufsehen erregen. Du hast mir schon eine ganze Menagerie von Eseln, Ochsen und Affen, die in Frankf. raisonnirt haben, aufgezählt. Laß sie! Urtheile über das Ganze wirst Du selten finden; der Dummkopf hängt sich an das Einzelne; das Ganze ist ein Meer, das Einzelne der Strauch, [GAA, Bd. V, S. 191] an dem er sich daraus vor dem Ersaufen rettet. — Daß Hauf todt, ist wohl Schade; sorge, sorge ja für eine Recension in das Morgenblatt. Kunz und sein Freund (also 2 Recensionen in verschiedenen Blättern) kommen wirklich allerliebst! — Da 5ich den Brief des Kunz noch nicht zurückschicke, so hier für Dich die Notiz, daß er vom 23 st Nov. d. J. ist, und daß Kunz besonders (wenn Du nicht mehr dran denken solltest) Manches aus dem conventionellen Leben des Poeten abzuleiten sucht. Er hat eine gute Nase. 10 Sind die Sachen auch in den Berliner, Leipziger Zeitungen, so wie in den Beilagen der ästhetischen Journale angekündigt? Pto Müllners hast Du von mir schon Notiz, und zwar unmaaßgeblich. Pto des Preises der Bücher, erklärt jeder Gescheute, es für 15Recht, daß er hoch gesetzt ist. Pto Köchys Horen wird nicht viel daraus, wenn ich nicht tüchtig helfe. Er hat indeß Verbindungen. Pto der Teufels- oder Esels-Zeitung in Hamburg, ist der gute Ehemann der Händel-Schütz Redacteur davon, und hat 20er mich schon früher durch einen reisenden Schauspieler zur Mitarbeit eingeladen, die ich indeß wohl nicht liefern werde. Es wird nichts daraus. Herrlich, daß wir beide, wie Du sagst, schief sind; Paralellen berühren sich nie, aber die schiefen Linien stoßen in einen 25Winkel zusammen, je schiefer je spitzer, und diesen spitzen Winkel wollen wir den Leuten in die Augen bohren. Heute ist Napoleons Krönungstag, und der Tag von Austerliz. Mich umwehen seine Donner, obgleich es auch einmal Zeit wäre, über die Napoleono-Manie zu schreiben, und darzuthun, 30wie die Schufte Deutschlands, welche bei seinem Leben ihn zu verachten strebten, jetzt am meisten preisen. Das kommt daher: wer auf dem Berge steht, sieht seine Größe wegen der Nähe nicht; in der Ferne erst wird er erhaben. O wie viele lange Nasen werden in Deutschland bei unserer 35Werke Betrachtung wachsen, besonders die Nasen der Angegriffenen. Wie mancher, selbst Houwald, wird seine Nase aus der Lausitz hervor bis in das Morgenblatt stecken. Laissez! Wir h[aben] den meisten Witz und werden nicht lächerlich. Um Gottes Himmelwillen, da hör' ich gestern ein hinter 40meinem Rücken gesprochenes Lob, welches so einzig als mancher Tadel ist, nämlich die Pracht der Sprache im Gothland! [GAA, Bd. V, S. 192] — Nun, das geht. — Der Mr. Pichler setzt einige Scenen, am Ende die meisten, in der Nanette über Romeo und Julie. Ist in der Selbstrecension Lob und Tadel klug gemischt? Kannst Du nicht weiter Recensionen in Blätter befördern 5oder auch nur Stellen, wär' es auch nur in der Frankfurter Iris? Wirst Du mir im Anfange, wenn etwas Gedrucktes herauskommt, nicht auf meine Kosten dasselbe, sobald es mich recensirt, zur Ansicht übersenden? Ich werde es jedesmal binnen 104 Tagen zurückschicken. Die Post! Detmold den 2t Dec. 1827. Der Dir stets treue, aber unedle Grabbe. (Nb. ich habe diesen Brief nicht einmal wieder überlesen 15können, daher vielleicht Schreibfehler stehen geblieben. In das Morgenblatt will Kunz' Freund schreiben; er wo anders hin.) [Adresse:] An die Herrmannsche Buchhandlung (Herr Buchhändler Kettembeil) Wohllöblich in Frankfurt am Main. 20Frei. |
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