Nr. 131, siehe GAA, Bd. V, S. 177 | 12. August 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Mein bester Freund, Deine Freude über meine Shakspearo-Manie ist mir lieber als der Aufsatz selbst. Seine Folgen? Ich hoffe er stößt Manches 20um, denn so deutlich ist nicht oft gegen Shakspeare gesprochen; auch denke ich, er zieht mir eine Partei Anhänger und eine Partei Kläffer zu. Ich gestehe, er ist vorzüglich mitberechnet, dem Tieck i. e. seiner albernen Kritik den Todesstoß zu geben. Ich mußte, (wie ich höchstens einmal 25mündlich näher entwickeln könnte) ihn in Worten schonen, aber indem ich den Götzen angreife, zu dessen Pabst er sich aus Mangel eigener Kraft machen will (auch diese Worte kann Tieck, wenn er lärmt, einmal gedruckt zu lesen bekommen), so zertrümmere ich auch ihn. Da Tiecks 30unvorsichtiges Benehmen ihm schon unter dem Dichterpöbel Feinde zugezogen hat, die öffentlich, selbst in der Modezeitung, gegen ihn auftreten, so hoffe ich den Matadors-Ruhm zu erlangen. Geht er oder einer seiner Anhänger los, ich stehe mit mehr Materie und gröberer Form zu Diensten, ohne 35Reserve thue ich keinen Schritt. Tiecks Kritik ist Manchem schon so verdächtig, daß ihm der jetzige Verfall der Litteratur zugeschrieben wird, Müllner hat ihn schon tüchtig gebissen, Dr. Gans desgleichen, und eben deshalb weiß ich nicht, ob, wie ich in meiner Ankündigung der Dramen geschrieben, wir [GAA, Bd. V, S. 178] bloß von einen „großen Dichter“, der einen Brief über den Gothland geschrieben, reden, oder dahinter in Klammern setzen („L. Tieck“). Thue wie Du willst und richte Dich nach den Städten, wo Tieck noch Anhänger hat. — Den 5Brief Tiecks können wir nicht missen; auf Manchen wirkt er noch immer, und, wie Du so gut geahnt hast, meine Shakspearo -Manie zeigt, indem sie ihn kritisiert, jedem Vernünftigen meinen eigentlichen Zweck. Den lieben Brief, der den Gothland doch immer als ganz besondere von allem Übrigen 10verschiedene furchtbare Erscheinung anzeigt, benutze ich wie ein Instrument, ja, wie eine eben eroberte, nun gegen den Feind gerichtete Kanone. Vielleicht hast Du ihn schon gedruckt, sonst laß uns am Schlusse desselben, statt der bisherigen Höflichkeitsform setzen: 15 „Diese Anmerkungen zu dem geehrten Schreiben L. Tiecks sollen keine Widerlegungen, sondern nur Andeutungen einiger Ideen seyn, welche den Verf. bei Ausführung seines Werkes leiteten. Der freimüthige und herzliche Tadel, den L. Tieck ausspricht, müßte dem Dichter des Gothland schon 20insofern höchst angenehm seyn, als er die Unparteilichkeit des vielleicht übergroßen Lobes am besten verbürgt. Freilich sind die Ansichten und die poetische Natur des Verfassers viel zu sehr von der Eigenthümlichkeit L. Tiecks verschieden, als daß er glauben könnte, derselbe habe in 25Lob und Tadel hier und da sein Werk nicht mißkannt. Aber trotz dessen von einem solchen verschiedenartigen Dichter eine so an sich geistreiche und wohlwollende Beurtheilung erhalten zu haben, erfüllt den Beurtheilten jedenfalls mit Freude und Dank. Übrigens pp“ 30 (die Phrase über die Aufführbarkeit des Gothland) — Und nun, Freund, noch dieses: den Druck der Probestellen überlasse ich lediglich Deinem Ermessen, nur beim Gothland wünschte ich, Du nähmst nur die Stellen, die ich Dir proponirt, zu welchen Du auch noch das Auftreten 35Berdoas im 3t Acte „Was? bin ich noch der Neger?“ bis zu der Stelle: „wenn sie nun aus dem Halse stänke (welcher Vers in der Abendzeitung halb oder leiser angedeutet werden könnte) fügen möchtest. Ich habe bei diesen Stellen meine Gründe; Scenen wirken weniger, und Du könntest in 40den Blättern bemerken, es wären keine aus dem Gothl. zu nehmen gewesen, weil sie zuviel Exposition gefodert hätten. [GAA, Bd. V, S. 179] — Hör' mal, laß doch (wenn möglich) den Teufel ja Ritter des päpstlichen Civilverdienstordens bleiben; die Katholiken anpacken, heißt Manchen gewinnen. Daß Deine Verleger-Annonce über das Streichen und Abändern mehr Gestrichenes 5und Abgeändertes andeutet, als vorhanden ist, schadet nicht; immer Sand! Sand! — Den zweiten Band sähe ich am liebsten von der Nannette eröffnet; sie bildet zum Gothland einen größeren Contrast als das Lustspiel, und dann fällt dieses wieder der Nannette auf den Kopf, und dann der Sulla, und 10dann die Shakspearo-Manie als Salz auf die Schnecke. Vor die Nannette, um sie auch nicht ohne Prolog zu lassen, wäre zu setzen: „Vielleicht versöhnt dieses Stück manchen Leser mit dem woran er im Gothland glaubte Anstoß nehmen zu müssen.“. — Du deutest an, alles was ich über die resp. Vorworte 15auf dem Herzen hätte, Dir zu schreiben, aber da kann ich nicht helfen: ich habe nunmehr schon alles darüber geschrieben, es liegt in meinen Briefen zerstreut, und leider (ich erkenne die Qual und Gefälligkeit, welche Du mit der wiederholten Lecture übernimmst) wirst Du wohl es daraus aufsuchen, 20bezeichnen, und an den gehörigen Stellen einschalten müssen. Geht unsere Sache gut, wie ich gar nicht zweifle, so wache ich auf. Wo ich Endzweck sehe, bin ich unermüdlich. Zwei Trauerspiele, zwei Comödien, sechs Abhandlungen über Literatur 25und ihre Heroen, eine Masse Kritiken, auch Wissenschaftlichkeiten, Trotz und Überbietung von allem was mir in den Weg kommt, — das schaffe ich Jahr für Jahr. Und hielte ich das nicht alles im vollsten Ernste für Kleinlichkeiten, welche nur durch die Albernheit der meisten übrigen Scribenten 30eine scheinbare quantitative Größe erlangen, so spräche ich nicht davon, weil es Prahlerei schiene. Du bietest mir Exemplare an. Ich selbst wünsche nur eins auf gewöhnlichem Papier; den Köchy (der Devrients Tochter jetzt geheirathet hat) wünsche ich als anonymen und publiken 35Ankündiger zu besitzen; für den bitte ich auch um eins; dann eins für unseren Fürsten; und (wenn Du sie missen kannst) noch einige (3 ist schon genug) auf verschiedenem Papier zur eventuellen Nutzanlegung. In Detmold verschenke ich nichts. Die Briefe an die Herren literarischen Hammel 40und Ochsen werde ich nach Frankfurt schicken, jedoch kann ich das erst dann thun, wenn ich mein gedrucktes Exemplar [GAA, Bd. V, S. 180] in der Hand habe, und sehe wie es den Messires in Geist oder Auge fällt. Dann erhältst Du die Briefe in 3 Tagen, und damit sie nicht die Buchhändlerspeculation wittern, schreibe ich hinein, ich wäre grade in Frankfurt zum Besuch. 5 Nicht umsonst spreche ich in der Shakspearo-Manie vom Eulenspiegel; mein nächstes Lustspiel soll ihn vorführen. Zwei Romane, ein kleiner und ein großer, werden auch in dem nämlichen Augenblicke vom Baume fallen, wo meine Stücke effectuiren. In der Manie spreche ich von Tiecks „Verlobten“; 10ich glaube aber die Novelle heißt „die Verlobte.“ Corrigire es, si placet. Ich habe die Manie geschrieben, ohne ein einziges Buch nachzuschlagen. Auch in Tiecks Briefe fehlt hier und da ein Komma oder ein Und. Das kannst Du auch ersetzen. Bei Gott, Du bist Doctor und 15Hebamme. Mein Eulenspiegel soll theatralisch werden, auch äußerlich etwas von einer Eule an sich haben. Berlin gebe ich noch nicht auf. Daß die Publication meiner Stücke in den Herbst fällt, ist gut, denn Gothland z. B. trägt Herbstspuren. Den Sulla, wenn das Fragment, wie ich hoffe, 20Effect macht, vollende ich diesen Winter, vor Weihnachten. Er steht schon in meinem Kopf Scene vor Scene. Marius sagt schon: „durch meiner Augen Fenster sieh't nicht mehr der Löwe, wie wohl ehedem. Er ist zu einem gelben welken Herzchen eingeschrumpft.“ Vielleicht benutze ich in Westphalen 25auch unsren lieben Pustkuchen zum Trommeln. Erfreue bald mit Antwort | | Deinen | Detmold den 12t Aug. | | alten, treuen Grabbe. | 1827. | | | 30 [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil (Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main. Frei. |
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