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Nr. 127, siehe GAA, Bd. V, S. 165thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

                    Handschrift Freund,

  Deinen Brief nebst dem Druckbogen, den ich anbei remittire,
habe ich zu meiner Freude erhalten. Druck und Papier kann
ich nur loben, ja, fast ist der Druck zu splendid, was jedoch,
5wie alles Gute, keineswegs schaden wird. Ich frage leider
weder in Kleid noch Schrift viel nach äußerlicher Ausstattung,
darum ist es Recht, daß Du, dem ich alles überlassen, so
vormundschaftlich sorgst. Der Gedanke, die beiden Bände brochiren
zu lassen, ist herrlich; ich weiß es an mir selbst, wie
10derlei dem Käufer unter den Arm greift; weil das Buch gebunden
war, kaufte ich vor circa 1 Jahre den Brönnerschen
Lord Byron. Da ich gewiß auf Dein Interesse so sehr sehe
als auf das meinige, so verzeihe mir die Versicherung, daß Du
mit dem Versprechen die beiden Bände nur auf einmal zu
15versenden, mir eine wahre Liebe gethan hast. Ich halte diese
Zugleich-Versendung für unumgänglich noth, und
freue mich, daß die Zeiten es mit sich brachten, auf den
Gothland ein Lustspiel pp zu schreiben. „Ein Jeder sucht sich
(in der Masse) endlich etwas aus“ heißt es in Goethes Faust.
20In dem übersandten Bogen sind wenig Druckfehler. Ich vermuthe,
daß Du die künftige Correctur selbst besorgst oder
besorgen läßt, darum habe ich sie nicht angezeigt: auch frag'
ich nicht viel nach solchen Blatternarben, selbst die Überschrift
der Scene, nämlich „Ostküste“ statt Ostseeküste ließe sich
25nach Nyköpings Lage rechtfertigen. Willst Du, so will ich
übrigens wohl die Correctur besorgen. Bemerkungen während
des Druckes habe ich, sobald Du keine foderst, nicht einzuliefern.
Ändere, streiche, soviel Du willst; nur wäre in oder nach der
Vorrede, die doch zuletzt gedruckt wird, in Deinem oder
30meinem Namen ein Wörtchen darüber zu sagen. Die verzweifelnde
Gotteslästerscene? Manches darin ist groß, manches
Wuth; kann sie ganz stehen bleiben, ist es mir lieb. Die
Zoten sind in den Gesprächen zwischen Berdoa und Gustav
(der ein Hauptcharacter ist) am nöthigsten; da schone soviel
35als Dir möglich ist. Der Teufel als Generalsuperintendent?
Meinetwegen! Doch wäre „Eremit“, „Canonicus“, „Bonze“
(in China) oder „Derwisch“ oder „Druide“ nicht zulässiger? —
Kodons? Hm! Verwünschte Geschichte. Womit soll man den
Herrn Teufel im Käfig fangen? Entweder streich das Wort
40„Kodon“ überall und jede zu grelle Anspielung aus, oder

[GAA, Bd. V, S. 166]

 


beurtheile meinen nachfolgenden stegreiflichen Rath: Mollfells
(Act II) sagt Handschrift dem Schulmeister: Da! für die gute
Nachricht zwanzig Duodezbändchen Romane von Walter
Scott, dem großen viel bekannten Unbekannten, herausgekommen
5bei den Gebrüdern Alpha und Omega, das Stück zu
2 pf. Sie sind so wohlfeil, daß sie fast nichts mehr
werth sind. (Geht ab.) — Schulmeister: Mein Gott,
was soll ich mit den Dingern machen? Lesen kann ich sie
nicht, denn ich schlafe dabei ein. Aber stille! ich will sie
10der Frau Gerichtshalterin als Gegenpräsent für den Topf
Erbsen übersenden: sie hat früher unter Lafontaines Oelpressren
geseufzt, dann ließ sie sich von Fouqués Lanzenbrechern
niederstoßen, und wird sich jetzt auch auf der
nichts besseren Folter des Walter Scott auseinander
15ziehen lassen. — Im 3t Acte ginge das Gespräch mit
Gretchen also: Gretchen: Guten Abend, Herr Schulmeister!
Die Frau Gerichtshalterin läßt sich tausendmal empfehlen!
Sie lies't immer in den hübschen Büchern von Walter Scott,
die Sie ihr geschickt haben. Sie lebt und webt darin, wie ein
20Fisch im Wasser. Sie sagt, es kämen so nette junge Menschen
darin vor, die sich alles gefallen ließen, — und das Haidekraut
wäre so schön beschrieben, schöner als es aussähe, — und
die Herren Schotten hätten so kurze Kleider an, — und man
könnte aufhören wo man wollte, man fände sich immer,
25auch ohne ein in die Blattseite gebogenes Eselsohr, gleich
wieder zurecht, — und ach! die Mädchen und Frauen, — die
Frauen wären lange Hexen, und das eine Mädchen wäre
jedesmal erhaben, wie die Frau Gerichtshalterin, das andere
klein und unschuldig, wie ich. O, und das alles wäre so
30hysterisch, wie sie es nennt — Schulmeister: Historisch,
willst Du sagen, Gretchen. Gretchen. Ei was! Historisch
und hysterisch, das ist einerlei! Wer historisch ist, der ist
hysterisch, und wer hysterisch ist, der ist historisch! —
Ja, und die Gerichtshalterin sagt: Die historischen und hysterischen
35Personen läsen sich in jenen Romanen wie Anekdotensammlungen,
und wären doch so herrlich, herrlich! Seh'n Sie,
Herr Schulmeister, ich lese auch in den Büchelchen, — hier
hab' ich Schweinigels Schicksale bei mir. (Sie zieht das Buch
aus dem Busen). Schulmeister: „In Deiner Brust sind
40Deines Schicksals Sterne!“ — Der Mann heißt aber Nigel,
Kind, nicht Schweinigel oder porc-épic. Leih' mir das Buch

[GAA, Bd. V, S. 167]

 


bis morgen Abend, lies bis dahin in Kenilworth, allwo Du
finden wirst, wenn Du es verstehst, daß der große unbekannte
Handelsmann auch mit Scenen aus Goethes Egmont
zur Messe geht. Gretchen. Könnte ich nicht in
5Kenilworth lesen, so ließe ich Ihnen dieß Buch nicht um
alle Welt. — Adies Herr Schulmeister! — — — Gleich nachher
sagt der Schulmeister zum Schmidt statt: „daß die Kodons,
welche der Gerichtshalterin pp“ — „daß der Nigel,
welcher ersichtlich eine wahre Lagune bildet, in der jedoch
10kein Venedig steht, in der vielmehr höchstens die fischartige
Gerichtshalterin wie eine Hexe zu schwimmen sucht, eine
sündliche, ersäufende Handschrift Eigenschaft an sich haben muß
pp.“ — In der Scene, wo der Teufel gefangen wird, hieße es:
Teufel: ich rieche hier zweierlei! Links etwas Wässe-
15riges, Ersäufendes, — rechts etwas Spirituöses,
Versoffenes pp. („Die unterstrichenen Worte kehren an
ihren Stellen wieder!“) — Billigst Du all dieses, Freund, so
sind die Kodons fort und mittelmäßig ersetzt, besonders da
Scott einen Hieb verdient und schon etwas im Zwielichte steht.
20Die übrigen kleinen Abändrungen, z. B. jedesmal statt „Kodon“
„Nigel“ zu setzen ect, besorgst Du selbst. Ich bitte
darum! — Solltest Du meine Werke öffentlich ankündigen,
so rathe ich jetzt einen strengen, mäßigen,
kräftigen Ton. Liegen die Sachen zum Verschicken aber
25da, so ist es Zeit, zu rennomiren. — Von Tieck, dessen Brief
mir übrigens jedenfalls nützen soll, indem er dem Gothland
vorgedruckt wird, rede in der Ankündigung (wenigstens in
der vorläufigen, wenn solche statt stände) nicht. Ich weiß
nicht mehr, wie ich mit ihm stehe; seit Leipzig habe ich ihm
30nicht geschrieben. Erscheint die Ankündigung zugleich
mit Versendung des Werkes, so sag von Tieck und von
aller Welt was Dir gut scheint. Das Schriftchen über die
Shakspear-Manie kannst Du, wenn Du es foderst, in 8—14
Tagen, von Deinem nächsten Briefe an zu rechnen, erhalten.
35Ich rathe aber, es nicht sofort mit den Dramen drucken zu
lassen; es würde Tieck und seine Schule (im Morgenblatt) sehr
hart verletzen, auch wird Tieck mich (der mir den Titel eines
großen Kritikers gab, als ich den Polonius einen altgewordenen
Hamlet nannte) errathen, und erst möcht' ich
40auch wissen, wie Tieck, der so viel, ja äußerst viel auf meine
Poeterei hielt, sich nach Erscheinung des Werkes benimmt.

[GAA, Bd. V, S. 168]

 


¼ Jahr nachher ist die Shakspear-Manie an der Zeit. Zu der
Vorrede des Lustspiels hätte ich noch gern die Notiz am Ende:
„es wird noch bemerkt, daß dieses Stück, eben so wie die
übrigen, schon im Jahre 1822 geschrieben war und auch in
5mehreren Gesellschaften vorgelesen wurde.“ Nämlich, 1) sind
im Lustspiele viele ältere Anspielungen, 2) sind des Teufels
Memoiren von Hauff erschienen, in denen zwar ein leichter
Vortrag herrscht, dessen Teufel aber nicht viel Teuflisches
an sich hat (der meinige würde bei all seinem Spaß, in eine
10Tragödie versetzt, eben spaßig auf die schauderhafteste Art
das beste Familien- und Liebesglück zertrümmern), er überhaupt
auch dem meinigen ganz unähnlich ist, jedoch auch von
Litteratur spricht, und ich selbst in dieser Hinsicht nicht
wünschte, vom späteren Hrn. Hauff etwas dem Schein
15nach angenommen zu haben. —

  Nun zu etwas anderem, nicht streng Geschäftlichen. — Professor
Herling? Der Mann, irr' ich nicht, näselt oder quäkt
mit der Stimme und mit seinem eignen Styl. Seinen Stiefbruder,
den reichen Meier, der jetzt wieder hier ist, beherrsche
20ich in seinen Kunstansichten in mehrerer Art, kann ihn jedoch
vom Einflusse seines Bruders nicht überall los machen. Denn
höre: eben dieser Prof. Herling hat dem Herrn Meier früher
Handschrift empfohlen stets den Klopstock (Messiade) zu studiren, und
läse er auch nur 3—6 Verse den Tag darin. Eben deshalb
25lies't mein Teufel im Klopstock. — Der Prof. Herling hat
eine naive Frau: sie soll, wie ich einmal verbotenus von einem
sehr genauen Bekannten gehört, meiner Nannette ex oculis
geschnitten seyn (Dubito!). Nicht mit Sulla, mit Nannette
hättest Du, wenn es der Mühe werth gewesen, kommen
30müssen. Sulla ist Fragment, nur von Wenigen (aber vielleicht
grade von den Tüchtigsten,) dessen Ende zu ahnen, Volksscenen
von einem Philologen gar nicht zu schätzen, — in
der Masse, neben den übrigen Stücken, aber
auch als Fragment eine eigne Force beurkundend.
35Köchy hielt ihn für enorm drastisch, Klingemann bot mir eine
ziemliche Summe wenn ich ihn vollendete — Damals war
schon die Scene darin (welche Du nicht kennst, weil sie im
3ten umzuändernden Acte steht), in der Sulla sich den
Namen „felix“ gibt, witzig und grimmig wird, seine Frau
40für den armen Marius zittert, und Phrasen fallen wie: wenn
meine Wangen glüh'n, so geh'n davor die Städte in

[GAA, Bd. V, S. 169]

 


Asche auf, — oder „der Erdball liegt wie ein gekrümmter
Sclave unter meinem Fuß, — lautjauchzend, wie der Donner
den Blitz, begrüßt das Volk mein Lächeln“ pp. pp. —
Offenherzig, der Sulla selbst wird ein höchst curioser Kerl:
5er soll das Ideal (vergiß nicht, das Ideal, denn sonst wär'
es sehr wenig) von mir werden.

  Ich bin fest überzeugt, wir machen großen Eclat. Denk'
an Berlin: wie drang ich unter den litterarischen Coterie-Menschen
durch: erst war Immermann der Held, nichtsdestominder
10spießten wir ihn am Haarbüschel, wie Gustorff
sagt. Und das war nur der Gothland, und im Gothland
gefiel manchem nur das Empfindsame (Gustavs Liebefloskeln!),
— so ist der Geschmack! — Auch Hr. Prof. Wendt
soll uns Dienste leisten. Masse contra Masse, darunter viel
15Fraß für die erlesenern Klugen und Geistreichen, — wir siegen.

  Hier im Lande schlägt der Postmeister, der ästhetisch ist
und etwas geahnt haben muß, schon Lärm. Meinethalben! es
schadet nicht. — Sey's wie es sey, eine ähnliche Erscheinung
wie unser Zeugs, wenn es zusammen in die Welt springt,
20ist selten gewesen.

  Freund, noch eins, weswegen mir der Druck meiner Werke
wichtig gewesen, — ein triftiger Mit-Beweggrund. Er wird
mir und eo ipso Dir künftig nützen. Unser Fürst (Lippe
hat jetzt mehr Einwohner wie Weimar zu Goethes ersten
25Zeiten) ist ein großer Theaterfreund. Er hat die erste Gesellschaft
Westphalens, die Pichlersche, dergestalt an Detmold
fixirt, daß sie die meiste Zeit hier bleibt, und im Auslande
(in Münster) Nachschüsse erhält. Es ist ein großes Comödienhaus
hier erbaut worden. Die Geschichte kostet an Zuschüssen
30jährlich gewiß 30—40000 rthlr. Nun ist in Detmold kein
anderer Theaterkenner als ich (was in Detmold jedoch nicht
viel sagt.) Dieß wissen auch wohl alle Detmolder. Nur mich
haben Schauspieler und Intendanz mit meinen Kritiken zu
fürchten, und haben bereits durch eine in ein Handschrift Provinzialblatt
35gesetzte Kleinigkeit Grund [genug dazu.] Ist mein Zeug gedruckt,
stehe ich allgemein litterarisch bekannt da, so ist hier
[auch für m]ich ein tüchtiger Sprung offen, sc.[ilicet] nicht
zum Schauspiele, sondern zum beherrschenden Kenner, cum
pecuniis. Und bei den vorhandenen Geldmitteln, läßt sich in
40Westphalen vielleicht eine Sonne anzünden, die zum Erhellen
von allerlei Erzeugnissen dient. Jam satis.

[GAA, Bd. V, S. 170]

 


  Und also, amice, (vir'human — quamcimique sagte Reichel)
laß mit Deinem mir so erfreulichen Eifer drauf los drucken
und pressen, — meine Vorrede ist vom Tage der Schlacht
bei Aspern, der ersten Schlacht die Napoleon an uns Deutsche
5verlor, zufällig und doch bedeutungsvoll datirt, — wir wollen
schmettern, donnern, flüstern, lispeln, und alle zum Narren
haben, — Aufträge expedire ich, aber jedesmal muß mir eine
sehr kurze Frist gesetzt werden, wie ich sie bei der Shakspear-Manie
wünsche, denn Fristen halte ich schon als Jurist, und
10setzt mir Jemand gar keinen Zeitpunct, zu dem ich fertig
seyn soll, so gehe ich leicht in's Blaue. Also, sey strenge.
Antworte mir, und obwohl ich Dir keine Frist hierin vorschreiben
kann, bedenke doch, daß Deine Antwort dem schiefen,
unedlen und curiosen, nämlich
                           Deinem Freunde Grabbe
Detmold den 12t Juli    recht, sehr lieb ist.
    1827.    

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil
(J. C. Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main.
20Frei.