Nr. 127, siehe GAA, Bd. V, S. 165 | 12. Juli 1827 | ![thumbnail](/Grabbe/Faksimiles/Briefe/small/G05B0127_01small.jpg) | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: ![](/icondir/lettericon.png) | Nachfolgend: ![](/icondir/lettericon.png) |
| Freund, Deinen Brief nebst dem Druckbogen, den ich anbei remittire, habe ich zu meiner Freude erhalten. Druck und Papier kann ich nur loben, ja, fast ist der Druck zu splendid, was jedoch, 5wie alles Gute, keineswegs schaden wird. Ich frage leider weder in Kleid noch Schrift viel nach äußerlicher Ausstattung, darum ist es Recht, daß Du, dem ich alles überlassen, so vormundschaftlich sorgst. Der Gedanke, die beiden Bände brochiren zu lassen, ist herrlich; ich weiß es an mir selbst, wie 10derlei dem Käufer unter den Arm greift; weil das Buch gebunden war, kaufte ich vor circa 1 Jahre den Brönnerschen Lord Byron. Da ich gewiß auf Dein Interesse so sehr sehe als auf das meinige, so verzeihe mir die Versicherung, daß Du mit dem Versprechen die beiden Bände nur auf einmal zu 15versenden, mir eine wahre Liebe gethan hast. Ich halte diese Zugleich-Versendung für unumgänglich noth, und freue mich, daß die Zeiten es mit sich brachten, auf den Gothland ein Lustspiel pp zu schreiben. „Ein Jeder sucht sich (in der Masse) endlich etwas aus“ heißt es in Goethes Faust. 20In dem übersandten Bogen sind wenig Druckfehler. Ich vermuthe, daß Du die künftige Correctur selbst besorgst oder besorgen läßt, darum habe ich sie nicht angezeigt: auch frag' ich nicht viel nach solchen Blatternarben, selbst die Überschrift der Scene, nämlich „Ostküste“ statt Ostseeküste ließe sich 25nach Nyköpings Lage rechtfertigen. Willst Du, so will ich übrigens wohl die Correctur besorgen. Bemerkungen während des Druckes habe ich, sobald Du keine foderst, nicht einzuliefern. Ändere, streiche, soviel Du willst; nur wäre in oder nach der Vorrede, die doch zuletzt gedruckt wird, in Deinem oder 30meinem Namen ein Wörtchen darüber zu sagen. Die verzweifelnde Gotteslästerscene? Manches darin ist groß, manches Wuth; kann sie ganz stehen bleiben, ist es mir lieb. Die Zoten sind in den Gesprächen zwischen Berdoa und Gustav (der ein Hauptcharacter ist) am nöthigsten; da schone soviel 35als Dir möglich ist. Der Teufel als Generalsuperintendent? Meinetwegen! Doch wäre „Eremit“, „Canonicus“, „Bonze“ (in China) oder „Derwisch“ oder „Druide“ nicht zulässiger? — Kodons? Hm! Verwünschte Geschichte. Womit soll man den Herrn Teufel im Käfig fangen? Entweder streich das Wort 40„Kodon“ überall und jede zu grelle Anspielung aus, oder [GAA, Bd. V, S. 166] beurtheile meinen nachfolgenden stegreiflichen Rath: Mollfells (Act II) sagt dem Schulmeister: Da! für die gute Nachricht zwanzig Duodezbändchen Romane von Walter Scott, dem großen viel bekannten Unbekannten, herausgekommen 5bei den Gebrüdern Alpha und Omega, das Stück zu 2 pf. Sie sind so wohlfeil, daß sie fast nichts mehr werth sind. (Geht ab.) — Schulmeister: Mein Gott, was soll ich mit den Dingern machen? Lesen kann ich sie nicht, denn ich schlafe dabei ein. Aber stille! ich will sie 10der Frau Gerichtshalterin als Gegenpräsent für den Topf Erbsen übersenden: sie hat früher unter Lafontaines Oelpressren geseufzt, dann ließ sie sich von Fouqués Lanzenbrechern niederstoßen, und wird sich jetzt auch auf der nichts besseren Folter des Walter Scott auseinander 15ziehen lassen. — Im 3t Acte ginge das Gespräch mit Gretchen also: Gretchen: Guten Abend, Herr Schulmeister! Die Frau Gerichtshalterin läßt sich tausendmal empfehlen! Sie lies't immer in den hübschen Büchern von Walter Scott, die Sie ihr geschickt haben. Sie lebt und webt darin, wie ein 20Fisch im Wasser. Sie sagt, es kämen so nette junge Menschen darin vor, die sich alles gefallen ließen, — und das Haidekraut wäre so schön beschrieben, schöner als es aussähe, — und die Herren Schotten hätten so kurze Kleider an, — und man könnte aufhören wo man wollte, man fände sich immer, 25auch ohne ein in die Blattseite gebogenes Eselsohr, gleich wieder zurecht, — und ach! die Mädchen und Frauen, — die Frauen wären lange Hexen, und das eine Mädchen wäre jedesmal erhaben, wie die Frau Gerichtshalterin, das andere klein und unschuldig, wie ich. O, und das alles wäre so 30hysterisch, wie sie es nennt — Schulmeister: Historisch, willst Du sagen, Gretchen. Gretchen. Ei was! Historisch und hysterisch, das ist einerlei! Wer historisch ist, der ist hysterisch, und wer hysterisch ist, der ist historisch! — Ja, und die Gerichtshalterin sagt: Die historischen und hysterischen 35Personen läsen sich in jenen Romanen wie Anekdotensammlungen, und wären doch so herrlich, herrlich! Seh'n Sie, Herr Schulmeister, ich lese auch in den Büchelchen, — hier hab' ich Schweinigels Schicksale bei mir. (Sie zieht das Buch aus dem Busen). Schulmeister: „In Deiner Brust sind 40Deines Schicksals Sterne!“ — Der Mann heißt aber Nigel, Kind, nicht Schweinigel oder porc-épic. Leih' mir das Buch [GAA, Bd. V, S. 167] bis morgen Abend, lies bis dahin in Kenilworth, allwo Du finden wirst, wenn Du es verstehst, daß der große unbekannte Handelsmann auch mit Scenen aus Goethes Egmont zur Messe geht. Gretchen. Könnte ich nicht in 5Kenilworth lesen, so ließe ich Ihnen dieß Buch nicht um alle Welt. — Adies Herr Schulmeister! — — — Gleich nachher sagt der Schulmeister zum Schmidt statt: „daß die Kodons, welche der Gerichtshalterin pp“ — „daß der Nigel, welcher ersichtlich eine wahre Lagune bildet, in der jedoch 10kein Venedig steht, in der vielmehr höchstens die fischartige Gerichtshalterin wie eine Hexe zu schwimmen sucht, eine sündliche, ersäufende Eigenschaft an sich haben muß pp.“ — In der Scene, wo der Teufel gefangen wird, hieße es: Teufel: ich rieche hier zweierlei! Links etwas Wässe- 15riges, Ersäufendes, — rechts etwas Spirituöses, Versoffenes pp. („Die unterstrichenen Worte kehren an ihren Stellen wieder!“) — Billigst Du all dieses, Freund, so sind die Kodons fort und mittelmäßig ersetzt, besonders da Scott einen Hieb verdient und schon etwas im Zwielichte steht. 20Die übrigen kleinen Abändrungen, z. B. jedesmal statt „Kodon“ „Nigel“ zu setzen ect, besorgst Du selbst. Ich bitte darum! — Solltest Du meine Werke öffentlich ankündigen, so rathe ich jetzt einen strengen, mäßigen, kräftigen Ton. Liegen die Sachen zum Verschicken aber 25da, so ist es Zeit, zu rennomiren. — Von Tieck, dessen Brief mir übrigens jedenfalls nützen soll, indem er dem Gothland vorgedruckt wird, rede in der Ankündigung (wenigstens in der vorläufigen, wenn solche statt stände) nicht. Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihm stehe; seit Leipzig habe ich ihm 30nicht geschrieben. Erscheint die Ankündigung zugleich mit Versendung des Werkes, so sag von Tieck und von aller Welt was Dir gut scheint. Das Schriftchen über die Shakspear-Manie kannst Du, wenn Du es foderst, in 8—14 Tagen, von Deinem nächsten Briefe an zu rechnen, erhalten. 35Ich rathe aber, es nicht sofort mit den Dramen drucken zu lassen; es würde Tieck und seine Schule (im Morgenblatt) sehr hart verletzen, auch wird Tieck mich (der mir den Titel eines großen Kritikers gab, als ich den Polonius einen altgewordenen Hamlet nannte) errathen, und erst möcht' ich 40auch wissen, wie Tieck, der so viel, ja äußerst viel auf meine Poeterei hielt, sich nach Erscheinung des Werkes benimmt. [GAA, Bd. V, S. 168] ¼ Jahr nachher ist die Shakspear-Manie an der Zeit. Zu der Vorrede des Lustspiels hätte ich noch gern die Notiz am Ende: „es wird noch bemerkt, daß dieses Stück, eben so wie die übrigen, schon im Jahre 1822 geschrieben war und auch in 5mehreren Gesellschaften vorgelesen wurde.“ Nämlich, 1) sind im Lustspiele viele ältere Anspielungen, 2) sind des Teufels Memoiren von Hauff erschienen, in denen zwar ein leichter Vortrag herrscht, dessen Teufel aber nicht viel Teuflisches an sich hat (der meinige würde bei all seinem Spaß, in eine 10Tragödie versetzt, eben spaßig auf die schauderhafteste Art das beste Familien- und Liebesglück zertrümmern), er überhaupt auch dem meinigen ganz unähnlich ist, jedoch auch von Litteratur spricht, und ich selbst in dieser Hinsicht nicht wünschte, vom späteren Hrn. Hauff etwas dem Schein 15nach angenommen zu haben. — Nun zu etwas anderem, nicht streng Geschäftlichen. — Professor Herling? Der Mann, irr' ich nicht, näselt oder quäkt mit der Stimme und mit seinem eignen Styl. Seinen Stiefbruder, den reichen Meier, der jetzt wieder hier ist, beherrsche 20ich in seinen Kunstansichten in mehrerer Art, kann ihn jedoch vom Einflusse seines Bruders nicht überall los machen. Denn höre: eben dieser Prof. Herling hat dem Herrn Meier früher empfohlen stets den Klopstock (Messiade) zu studiren, und läse er auch nur 3—6 Verse den Tag darin. Eben deshalb 25lies't mein Teufel im Klopstock. — Der Prof. Herling hat eine naive Frau: sie soll, wie ich einmal verbotenus von einem sehr genauen Bekannten gehört, meiner Nannette ex oculis geschnitten seyn (Dubito!). Nicht mit Sulla, mit Nannette hättest Du, wenn es der Mühe werth gewesen, kommen 30müssen. Sulla ist Fragment, nur von Wenigen (aber vielleicht grade von den Tüchtigsten,) dessen Ende zu ahnen, Volksscenen von einem Philologen gar nicht zu schätzen, — in der Masse, neben den übrigen Stücken, aber auch als Fragment eine eigne Force beurkundend. 35Köchy hielt ihn für enorm drastisch, Klingemann bot mir eine ziemliche Summe wenn ich ihn vollendete — Damals war schon die Scene darin (welche Du nicht kennst, weil sie im 3ten umzuändernden Acte steht), in der Sulla sich den Namen „felix“ gibt, witzig und grimmig wird, seine Frau 40für den armen Marius zittert, und Phrasen fallen wie: wenn meine Wangen glüh'n, so geh'n davor die Städte in [GAA, Bd. V, S. 169] Asche auf, — oder „der Erdball liegt wie ein gekrümmter Sclave unter meinem Fuß, — lautjauchzend, wie der Donner den Blitz, begrüßt das Volk mein Lächeln“ pp. pp. — Offenherzig, der Sulla selbst wird ein höchst curioser Kerl: 5er soll das Ideal (vergiß nicht, das Ideal, denn sonst wär' es sehr wenig) von mir werden. Ich bin fest überzeugt, wir machen großen Eclat. Denk' an Berlin: wie drang ich unter den litterarischen Coterie-Menschen durch: erst war Immermann der Held, nichtsdestominder 10spießten wir ihn am Haarbüschel, wie Gustorff sagt. Und das war nur der Gothland, und im Gothland gefiel manchem nur das Empfindsame (Gustavs Liebefloskeln!), — so ist der Geschmack! — Auch Hr. Prof. Wendt soll uns Dienste leisten. Masse contra Masse, darunter viel 15Fraß für die erlesenern Klugen und Geistreichen, — wir siegen. Hier im Lande schlägt der Postmeister, der ästhetisch ist und etwas geahnt haben muß, schon Lärm. Meinethalben! es schadet nicht. — Sey's wie es sey, eine ähnliche Erscheinung wie unser Zeugs, wenn es zusammen in die Welt springt, 20ist selten gewesen. Freund, noch eins, weswegen mir der Druck meiner Werke wichtig gewesen, — ein triftiger Mit-Beweggrund. Er wird mir und eo ipso Dir künftig nützen. Unser Fürst (Lippe hat jetzt mehr Einwohner wie Weimar zu Goethes ersten 25Zeiten) ist ein großer Theaterfreund. Er hat die erste Gesellschaft Westphalens, die Pichlersche, dergestalt an Detmold fixirt, daß sie die meiste Zeit hier bleibt, und im Auslande (in Münster) Nachschüsse erhält. Es ist ein großes Comödienhaus hier erbaut worden. Die Geschichte kostet an Zuschüssen 30jährlich gewiß 30—40000 rthlr. Nun ist in Detmold kein anderer Theaterkenner als ich (was in Detmold jedoch nicht viel sagt.) Dieß wissen auch wohl alle Detmolder. Nur mich haben Schauspieler und Intendanz mit meinen Kritiken zu fürchten, und haben bereits durch eine in ein Provinzialblatt 35gesetzte Kleinigkeit Grund [genug dazu.] Ist mein Zeug gedruckt, stehe ich allgemein litterarisch bekannt da, so ist hier [auch für m]ich ein tüchtiger Sprung offen, sc.[ilicet] nicht zum Schauspiele, sondern zum beherrschenden Kenner, cum pecuniis. Und bei den vorhandenen Geldmitteln, läßt sich in 40Westphalen vielleicht eine Sonne anzünden, die zum Erhellen von allerlei Erzeugnissen dient. Jam satis. [GAA, Bd. V, S. 170] Und also, amice, (vir'human — quamcimique sagte Reichel) laß mit Deinem mir so erfreulichen Eifer drauf los drucken und pressen, — meine Vorrede ist vom Tage der Schlacht bei Aspern, der ersten Schlacht die Napoleon an uns Deutsche 5verlor, zufällig und doch bedeutungsvoll datirt, — wir wollen schmettern, donnern, flüstern, lispeln, und alle zum Narren haben, — Aufträge expedire ich, aber jedesmal muß mir eine sehr kurze Frist gesetzt werden, wie ich sie bei der Shakspear-Manie wünsche, denn Fristen halte ich schon als Jurist, und 10setzt mir Jemand gar keinen Zeitpunct, zu dem ich fertig seyn soll, so gehe ich leicht in's Blaue. Also, sey strenge. Antworte mir, und obwohl ich Dir keine Frist hierin vorschreiben kann, bedenke doch, daß Deine Antwort dem schiefen, unedlen und curiosen, nämlich | | Deinem Freunde Grabbe | Detmold den 12t Juli | | recht, sehr lieb ist. | 1827. | | | [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil (J. C. Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main. 20Frei. |
| |
127.
H: 1 Doppelbl., 1 Bl. in 40; 4⅗ S., Adresse auf S. 6
Auf S. 6 Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold den
12. Juli. Abgangsstempel: DETTMOLD 14/7 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 18. JUL. 1827
F: GrA
D: WBl IV 394—400, als Nr 5.
S. 165, Z. 35: Generalsuperintendent] Generalsuperintenden H
S. 166, Z. 19: [das erste] Sie] sie H
S. 167, Z. 13: pp.“] pp. H
S. 167, Z. 16: unterstrichenen] unterstrichen H
S. 168, Z. 8: herrscht] herscht H
S. 169, Z. 35: [genug dazu.]] der obere Rand des zweiten Blattes
ist beim Entsiegeln mit Textverlust beschädigt
S. 169, Z. 15: erlesenern] elesenern H
S. 169, Z. 37: [auch für m]ich] der obere Rand des zweiten
Blattes ist beim Entsiegeln mit Textverlust beschädigt
S. 165, Z. 11 f.: kaufte ich vor circa 1 Jahre den Brönnerschen
Byron: Siehe Brief
S. 165, Z. 18 f.: „Ein Jeder such sich (in der Masse) [usw.]:
„Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, / Ein jeder sucht
sich endlich selbst was aus.“ Worte des Direktors im „Vorspiel
auf dem Theater“ zu „Faust“, der Tragödie erstem Teil.
[Bd. b5, S. 517]
S. 166, Z. 11 f.: Lafontaines Oelpressen: Siehe die Anm. zu
S. 166, Z. 12 f.: Fouqués Lanzenbrechern: Siehe die Anm. zu
S. 166, Z. 38: Schweinigels Schicksale: Scotts Roman „The fortunes
of Nigel“ (1822).
S. 166, Z. 39 f.: „In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne!“:
Ausspruch Illos in Schillers „Piccolomini“ II,6.
S. 166, Z. 41: porc-épic: Stachelschwein.
S. 167, Z. 2—4: daß der große unbekannte Handelsmann
auch mit Scenen aus Goethes Egmont zur Messe geht: Es
kommt nur eine Szene in betracht, und zwar der Besuch Leicesters
bei Amy Robsart, wie er im siebenten Kapitel von „Kenilworth“
geschildert wird. Hier handelt es sich in der Tat um die Nachahmung
einer Szene im dritten Akte des „Egmont“ (Klärchens Wohnung“), in
der Egmont, um der Geliebten eine Freude zu bereiten, in einem
prächtigen samtenen Kleide erscheint, angetan mit dem Ordenszeichen
und der Kette des Goldenen Vlieses. Goethe, der den Roman
1821 gelesen hatte, bemerkte dazu am 18. Januar 1825 zu
Eckermann: „Walter Scott benutzte eine Scene meines Egmonts und
er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verstand geschah, so ist
er zu loben.“ („Gespräche mit Goethe“, 8. Aufl., hrsg. von H. H.
Houben, Leipzig, Brockhaus 1909, S. 111.)
„Wie arm das 7. Cap. des I. Bandes“ des Romans sei, „so roh
und ohne Nutzen dem Egmont fast nachgeschrieben“, bemängelt
auch Ludwig Tieck in einem Briefe ohne Ort und Datum, der
nach Angabe des Herausgebers möglicherweise an Amadeus Wendt
gerichtet ist. (Holtei, „Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten“,
Th. 4, Hannover 1872, S. 96. „Letters of Ludwig Tieck“, collected
and edited by Edwin H. Zeydel, Percy Matenko, Robert Herndon
Fife. New York, London 1937, S. 210.)
S. 167, Z. 36: Tieck und seine Schule (im Morgenblatt): Zu einer
Mitarbeit Tiecks am „Morgenblatte“ ist es nie gekommen, wiewohl
sowohl auf des Dichters wie auf Cottas Seite der Wunsch danach
bestand und jener durch Ludwig Robert dazu aufgefordert wurde,
Beiträge zu liefern, später sogar ein vorläufiger Vertrag darüber
aufgesetzt worden ist. (Vgl. „Briefe an Cotta. Das Zeitalter Goethes
und Napoleons 1794—1815“, Stuttgart & Berlin 1925, S. 253—55;
„Briefe an Wolfgang Menzel II“ = „Mitteilungen aus dem Litteraturarchive
in Berlin 1907“, S. 268—69; „Letters of Ludwig Tieck“,
S. 41—42, 267—71.) — Das „Literatur-Blatt“ nahm, so lange es
von Adolph Müllner geleitet wurde, zu Tiecks Werken eine keineswegs
unkritische Haltung ein. Z. B. findet es, daß die Novelle
„Der Geheimnißvolle“, zu einem Buche ausgedehnt, des Dichters
nicht würdig sei (1823, S. 394—95); im dritten Teile der „Gedichte“
bemerkt es auch sprachliche Mängel (1824, S. 361—64), in
der Komposition der Zaubergeschichte „Pietro von Abano“ vermag
es „keine vernünftige Bedeutung“ zu erkennen, und nirgends zeige
sich „dem Nachdenken eine Thür oder ein Fenster, wodurch man
eine hineintragen könnte“. Selbst die Darstellung der Zauberszenen,
so fährt der ungenannte Referent fort, sei „matt“ geraten, und
[Bd. b5, S. 518]
vergebens bemühe sich der mißgestaltete Famulus, den Leser zum
Lachen zu reizen. (1825, S. 172.) Im selben Jahrgange (S. 411—12)
wird ferner „Dichterleben“ besprochen und dabei bezweifelt, daß das
darin gegebene Porträt Shakespeares „in Bezug auf sein Original
gelungen sey“ (S. 412). In dieser Haltung trat mit der Übernahme
der Redaktion des „Literatur-Blattes“ durch Wolfgang Menzel eine
sichtliche Wandlung ein, und die mit „W. M.“ unterzeichnete Besprechung
des ersten Bändchens der „Dramaturgischen Blätter“ im
Jahrgang 1826 (S. 113—16) ist des Lobes voll. Sehr bald nachher
wurde auch das zweite Bändchen eingehend gewürdigt. (S. 140.)
Wenn Rudolf Köpke feststellt, daß Wolfgang Menzel „mehr als
einmal“ Tiecks Verteidigung gegen ungerechte Angriffe übernommen
habe (Teil 2 seiner Biographie des Dichters, S. 71), so dürfte dies
erst für die folgenden Jahre gelten; denn im Kommentar zu einem
in den Sommer 1830 gesetzten Briefe Tiecks an Menzel, der auf
S. 340 der „Letters from Ludwig Tieck“ abgedruckt wird, heißt
es u. a.: „At this time he severely attacked Goethe and the writers
of Young Germany and broke many a lance for Tieck.“ (Im dritten
Kapitel des zweiten Teiles von Frieda Höfle's Münchener Dissertation
über „Cottas Morgenblatt für gebildete Stände und seine
Stellung zur Literatur und zur literarischen Kritik“, Berlin 1937,
S. 139—48, das über „Romantische Dichter im Morgenblatt“ handelt,
kommt der Name Tiecks überhaupt nicht vor.) — Was schließlich
die „Schule“ betrifft, so bedarf es, um die Existenz einer solchen
zu erweisen, kaum des Hinweises auf die Zeugnisse von Zeitgenossen.
August Klingemann spricht im dritten Bande von „Kunst und
Natur“ (Braunschweig, Meyer 1828, S. 260) von einem „zahllosen
Heere von Nachahmern“, und von solchen weiß auch Heinrich
Laube in seinen „Erinnerungen“ zu erzählen. (Vgl. „Gesammelte
Werke“, hrsg. von Heinrich Hubert Houben, Bd 40, Leipzig 1909,
S. 101; Bd. 41, ebenda, S. 278.) Tiecks Vorbild auf dem Gebiete
des Dramas, so konstatiert Oscar Kaiser in seiner Leipziger Dissertation
über den „Dualismus Ludwig Tiecks als Dramatiker und
Dramaturg“ vom Jahre 1885, habe zahlreiche Nachfolger wachgerufen,
sowohl auf dem Boden der Tragödie, als der Komödie.
Auf S. 66 führt er eine „ansehnliche Reihe“ von ihnen auf. Um
die Frage beantworten zu können, inwieweit das „Morgenblatt“
diesen Autoren eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit gewidmet oder
sie durch wohlwollende Kritiken gefördert habe, bedürfte es einer
besonderen Untersuchung. Hier kann nur auf die eingehende Besprechung
verwiesen werden, die Friedrich von Uechtritzens Trauerspiel
„Alexander und Darius“ (Berlin, Vereinsbuchhandlung 1827)
in der Nr 25 des „Literatur-Blattes“ vom 27. März 1827, S. 97—99,
erfährt und in der den Gründen nachgespürt wird, aus denen, ungeachtet
der Lobpreisung Tiecks, das Stück nur einen Achtungserfolg
errungen hatte.
S. 168, Z. 6 f.: des Teufels Memoiren von Hauff: Die „Mittheilungen
aus den Memoiren des Satan“ waren im August 1825 veröffentlicht
worden.
S. 168, Z. 25 f.: Der Prof. Herling hat eine naive Frau: H. hatte
sich am 19. April 1813 zu Göttingen mit Johanna Luise Speckbötel
[Bd. b5, S. 519]
verheiratet. Diese war die Tochter von Georg Theodor Sp., Bürger
und Kämmereischreiber zu Göttingen, und der Henriette Juliane
Wilhelmine, geb. Oehl. Sie ist am 12. Febr. 1862 in Frankfurt am
Main gestorben.
S. 168, Z. 26: verbotenus: wörtlich genau.
S. 168, Z. 27: ex oculis: wie aus den Augen.
S. 168, Z. 28: Dubito!: Ich bezweifle es!
S. 169, Z. 16: der Postmeister: Carl Wilhelm Runnenberg; siehe
die Anm. zu
S. 169, Z. 34 f.: eine in ein Provinzblatt gesetzte Kleinigkeit:
Grabbes Theater-Korrespondenz, datiert vom 1. Januar 1827, im
zweiten Stücke des Mindener „Sonntagsblattes“ vom 14. Januar.
Siehe
S. 169, Z. 37: sc.[ilicet]: versteht sich.
S. 169, Z. 38 f.: cum pecuniis: mit Geldern (Einnahmen).
S. 169, Z. 41: Jam satis: Schon recht.
S. 170, Z. 1: amice, (vir'human-quamcimique sagte Reichel):
Wahrscheinlich eine von dem Privatdozenten Valerius Friedrich
Reichel häufig gebrauchte, rasch und undeutlich gesprochene (genuschelte)
Wendung, die nach des verstorbenen Dr. Walther Hoffmann
in Detmold überzeugender Ansicht folgendermaßen aufzulösen ist:
viri humani que amici mei que, d. h. sowohl ehrenwerte Männer
als auch meine Freunde. — Zu Reichel siehe die Anm. zu
Z. 18.