Nr. 126, siehe GAA, Bd. V, S. 161 | 25. Juni 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Detmold den 25st Juni 1827. Kettembeil, 10 Sire! (von zurückzu Eris), Freund, Ewr Wohlgeboren, verehrtester Herr, im Ernst alter vertrauter Freund! Dein Schreiben vom 19ten huj hab' ich erhalten. Es hat mich sehr erfreut. Deine Briefe sind mir wahrhaft lieb. Auch 15daß Du meine Poesien nicht mißachtest, daß sie Dir noch jetzt gefallen, daß mein fragmentarischer Sulla sogar Dein Interesse erregt, muß mich erheitern (sentimentaliter: entzükken.) Dein Gefallen am Sulla wundert mich um so mehr, als ich es bis jetzt für eine der schwierigsten, durch den Sulla 20nicht gelös'ten Aufgaben hielt, nicht nur die Historie, sondern das trockene, selbst im Kriege mit Carthago nach dem Pandektenrechte riechende Römer-Leben den modernen „spectators“ annehmlich darzustellen. Führte ich künftig (und ich will es nach Deinem Befehle thun) den Hrn. Sulla weiter aus, so 25würde übrigens der jetzige Anfang zwar bestehen, aber gegen die folgenden Aufzüge, sobald sie gut werden sollten (hilf, Character Sulla's, Catilina's, Metella's, ect!), in Nichts zerfallen. Jetzt herrscht noch Marius vor, aber dieser Heros, zerschmettert durch Sulla, — das ist effectvoll. 30 Glaubst Du Sulla wäre mein Höchstes? Mag seyn bis dato. Verlaß Dich drauf: „Don Juan und Faust“, die mittelalterlichen (ich habe seit Jugend das Mittelalter sehr studirt) „Hohenstaufen“ , in denen Nationalstolz und Poesie sich vereinen, selbst mein Roman aus der Zeit von 1806—1814, werden 35größer. Ich gehöre wenigstens zu den Pflanzen die stets wachsen, wie Gustorff sagte, ich habe genug zertrümmert und verdaut, ich muß wieder aufbauen, und sonderbar, wer weiß wohin ich mich gewendet, ob ich je an Dichtung qua Dichtung wieder gedacht, wenn die merkwürdigste Verkettung uns [GAA, Bd. V, S. 162] Beide nicht wieder verknüpft hätte. — Ist's einmal Zeit, so geben wir ein Journal heraus, wozu Frankfurt so trefflich liegt, daß es ein Wunder ist, wie von dort nichts Genügendes in der Art erscheint. Das Journal füttern wir allein, besonders 5mit einem täglichen Überblick der Albernheiten, die in den übrigen Journalen erscheinen; auch wäre es einmal Zeit, durch eine kurze Broschure ein wenig über die, wie Lord Byron bei Brönner und Lippold unter den Linden sagen, zur fashion gewordene Bewunderung des Hrn. Shakspeare 10zu reden. Der Mann hat keinen aufrichtigeren Verehrer als ich, es kennen ihn auch wenige besser, aber mancher Narr, hier und da auch vernünftige Männer, z. B. Tieck, schützen ihn vor weil sie selbst nicht so hoch kommen können als er und daher in seiner von ihnen erregten Bewunderung sich selbst 15geschmeichelt fühlen. Wohin? — Meine jetzt bei Dir befindlichen Manuscripte kündige pompös an. Es schadet nichts. Recht, daß Proben gedruckt werden sollen, aber aus allen Stücken. Wähle sie selbst. Aber in 2 Bände zu zertheilen? Auch das thu' unbedingt, 20ich überlasse Dir alles und brauchst mir kein Wort darüber zu sagen. Der Gothland wühlt sich gewiß durch, sagte Heine. Nur zum beliebigen Gebrauch erwähne ich dieß: wegen der Contraste und des schnelleren Schlageffects wäre ein Band mit der ganzen Pastete besser, und sollte er, 25wenn groß Octav genommen und ein sparsamer Druck gewählt würde, mehr Raum füllen als der Band mit den 3 (nach Tieck kein Genie versprechenden, nach mir recht talent vollen) Immermann'schen Tragödien: „Roland“ „Edwin“ „Petrarca.“? Ginge dieß nicht, so hielte ich für rathsam, 30daß die 2 Bände meiner Stücke zugleich oder dicht hinter einander versandt würden. — Streich' oder laß streichen, so viel Du willst. Ich traue Dir vollkommen. Auf Dein Verlangen hierbei nur dieß: die Stelle im Gothland im 3t Acte dürfte wohl nur in den schlimmsten directe 35 contra Gott gerichteten Stellen verändert werden; wo Bilder sind kann sie stehen bleiben. „Gubitz“ in Berlin, dem diese Stelle (die hier und da zu extrem seyn mag) sehr gefiel, meinte übrigens nicht sie, sondern die Zoten würden der preuß. Censur auffallen. Schlimmstens könntest Du beim 40Beginn derselben die Note setzen: „Die 3te Scene des 5ten Actes und in gegenwärtigem Auftritt die Zwischenreden Berdoas [GAA, Bd. V, S. 163] zeigen daß der Dichter, nachdem er zwar die Flamme des Abgrundes auflodern ließ, er sie auch durch ihre eigene Kraft (selbst durch Berdoa) zu schwächen, ja zu vernichten versteht.“ So etwas hilft. Wie ist's mit meinen Vorreden? 5Billigst Du sie? Thust Du es nicht, so können wir nach vollendetem Druck eine neue vorfügen. Auf jeden Fall wirst Du als Verleger bemerken müssen, es seyen von Dir im Auftrage des Verf. mehrere Stellen, die dem größeren Publico vorzulegen Bedenken gefunden worden, gestrichen oder verändert. 10Wird „Nannette“ nicht vorgedruckt, so muß auch in der Hauptvorrede die resp. Numerirung eben so wie bei den Stücken selbst verändert werden. Das Streichen kann mit Pfiffigkeit geschehen, v. z. B. Goethes Faust: sie hatte ein — — — großes — 15 so groß es war pp oder wie die Worte lauten. Das ist fast schlimmer (denn der Reim verräth im Faust ), als wenn Du setzest: Hat sie — tüchtige — Man kann — — Stiefeln ausziehn. 20Statt Kodons (im Lustspiel) könnte K—s stehen. Der Teufel sey meinetwegen kein Generalsuperintendent, aber was meinst Du zu Canonicus? oder Eremiten? — Die Canonicusse sind in den Romanen ja ganz gewöhnlich. — Confiscation? Bei gehörigem Streichen wird jedes Stück so 25ziemlich unschuldig erscheinen und sie nicht zu fürchten haben. Vor den Preußen bin ich gar nicht bange; sie schätzen aufkeimende Talente. Hast Du die Frankfurter Censur passirt so stehst Du sicher. Laß nach vollendetem Druck nur schnell verschicken: die Meiersche Buchhandlung in Lemgo wird auch 30einen Haufen unterbringen. Je mehr ein Buch (god beware!) verboten wird, desto mehr geht es bei einem weisen Speculanten ab. Leider zweifle ich, dieses Verbotsglück zu erleben. Oesterreich? Das ist ein fatales Land; da ist auch Schiller verboten gewesen. Doch werde daselbst verboten oder nicht, 35ich müßte mich sehr irren, wenn die Wiener Belletristen unsere Pastete nicht vielfach einzuschmuggeln verständen. Die kleineren deutschen Fürstenthümer bis zu Weimar hinauf, sind auch nicht zu verachten. Dein nahes Nassau, das schönste Herzogthum der Welt, ist wohl zu hübsch, als daß auf solchem 40Grunde die besten Geister sich nicht wie Tintenklekse, ähnlich dem oben auf dieser Seite stehenden, ausnehmen müßten. [GAA, Bd. V, S. 164] Um den Hrn. Meier mach Dir nur nicht zu viele Wege. Kannst Du auch meine Briefe lesen? Das thut das satanische Geschäftsleben, meine Hand läuft, als wären 4 Pferde davor. Und nun übergebe ich den Fortgang mit Einrichtung (die 5nicht häßlich aber auch nicht zu kostbar zu seyn braucht), mit Abänderung pp lediglich Deiner Willkühr. Schick mir bald den 1sten Probebogen. Ruhe ist meine Sache nicht, und was ich einmal begonnen, das treibe ich gern rasch fort. So lange Du willst, werde ich an Dir halten. Wir wollen, 10wenn der Weg gebrochen, noch anders und noch mehr den Herren Litteratoren aufwarten, und sollt' ich einen wahrhaft gewaltigen, großartigen Juden schildern. Wie Flugsand, sagt Faust (der meinige), stäuben die Sterne durch den Nachthimmel. Als der liebe Gott (möchte ich sagen) seine Kaffeemilch 15umgoß, entstand die Milchstraße. Laß erst den Don Juan die Zerline poussiren, als welches mir einfällt, indem eben eine Frau vor mir steht, die eine Alimentationsklage gegen einen Soldaten anhängig macht. „Zäh' und kühn“ ist mein Wahlspruch; eine baldige Antwort von Dir meine Hoffnung. 20Ich will eine Comödie darüber machen, wie ich in Berlin in's Theater ging um mich zu verlieben, und immer aufpaßte, ob's bald kommen würde. Ein Stück will ich schreiben, welches so süß seyn soll, daß man es entweder beim Caffee lesen oder als Zucker hineinwerfen kann. Die Wittwe Pütschel 25will ich verherrlichen. Den Dr. Hennings will ich confrontiren. Meine Lebensbeschreibung, die von Jugend auf (ich leitete als Kind an einem wollenen Faden einen Mörder, der begnadigt, 70 Jahre alt, und mein täglicher Gesellschafter war) will ich in einem Romane erponiren und dem Pabste weihen; ich will 30— ich muß Dir meine Liebe, und was bei mir mehr sagen will, mein Vertrauen zu Dir versichern, — dieses Vertrauen hatte ich schon in Leipzig, — und bin Dein Dir bewußter Grabbe. Deine Adresse ist: J. C. Hermannsche Buchhandlung. Da 35aber mir zweifelhaft scheint, ob nicht ein Commis so adressirte Briefe öffnen könnte, so habe ich dießmal Kettembeil beizugesetzt, und bitte über diese Adressirung um Nachricht. [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler S. Kettembeil (J. C. Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am 40Main. Franco. [GAA, Bd. V, S. 165] |
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