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[GAA, Bd. V, S. 277]

 


  Das „Aber“ ist ein schlimmes Wort, und nimmt, wie Jean
Paul sagt, den Löffel vor dem Munde weg. Und bei Grabbe
ist ein großes Aber trotz all dieses Lobes nöthig. Nur sein
Genie, nichts anderes, nicht sein Fleiß, sein ernstliches
5Streben ist zu loben. Verdient der, welcher die glänzendste
Sprache, die richtigste Characterzeichnung in der Gewalt hat,
nicht mehr als jeder Andere Tadel, wenn er so oft gegen
beides auf das Empörendste sündigt. Die Verse scheinen gar
ganz nach Willkühr hingeworfen zu seyn. Und ist die Empfindelei
10mit welcher der Kaiser und der Löwe in der Weserschlacht
sich umarmen, statt, wie sie sollten, sich zu bekämpfen,
der beiden Männer und der Sachlage werth? Ist das
Skizzenhafte, welches in allen Grabbeschen Werken liegt zu
loben? — Er bauet das Gestell zu Palästen, aber füllt es nicht
15aus. Er muß fleißiger, sorgsamer werden, sonst
steht es nicht zum besten mit seinem Nachruhm.

[II.]
Handschrift Kaiser Barbarossa.

  Weg sind die Schlacken, die in des bekannten Dichters
20früheren Werken, so manche Schönheit begruben, rein und
geläutert tritt er in obgenannten Stücke auf, voll Jugendfeuer
und Männerkraft, zur großen Beschämung vieler seiner Gegner,
die seiner überbrausenden Genialität ein kurzes Leben prophezeiten.
Das können wir aber jetzt sicher prophezeien, wenn
25die übrigen Stücken dieses Hohenstaufen-Cyclus werden wie
der Barbarossa, so besitzt keine Nation ein solches dichterisches
Nationalwerk, als dieser Dramenkranz.

  Barbarossa ist ein wahres Schicksalsdrama, in der besseren
Bedeutung. Die Verhältnisse sind gegeben, Welfen und Waiblinger
30sind jeder zu groß um beide neben einander zu bestehen,
der Kaiser und der Löwe sind Freunde, aber sie
müssen doch durch die Lage der Dinge gezwungen sich bekämpfen,
eben so wie auch der Papst Alexander, der in seiner
ganzen historischen Größe dasteht, dem Kaiser nicht aus gemeiner
35Feindschaft und Niedrigkeit, womit so manche Handschrift Dra-
matiker die Kirche zu schildern belieben, entgegentritt, sondern
auch mit dem Blick auf Umstände.

  Der Leser sehe nun selbst, wie einfach und historisch und
doch dramatisch sich unter Einwirkung dieser Charactere die
40Handlung fortbewegt, — der Zorn des Kaisers, der auf Roncaglias

 

 
 
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