| [GAA, Bd. IV, S. 95] geistigen Genüsse, künstlerische oder wissenschaftliche verdienen hier eher Erwähnung. Und wie ist es da? Ueberall Dilettantismus, das heißt: die Sucht genießen zu wollen, und die Sache nur halb zu verstehen. Bei den Wissenschaften 5fast an jeder Stelle nur Insecten, die sich an den literarischen Resten der großen Männer des achtzehnten Jahrhunderts fett zu zehren und damit dem Haufen zu imponiren versuchen, oder kenntnißreiche Männer, die mit dem reinen Ergebniß ihrer Forschungen nicht zufrieden sind, und sich und 10Andere verwirren, indem sie aus Steinen Gold machen wollen, wie z. B. ein Savigny aus dem altrömischen Rechte, ein Creuzer aus der Mythologie, ein Justinus Kerner aus der Medicin, respective ihre historischen Schulen, Symbolik, oder Seherinnen von Prevorst zu deduciren wissen. Mancher anderen Scienzen, 15vorzüglich jedoch der Theologie und Philosophie gar nicht zu gedenken: die beiden eben genannten kennt man schon seit 6000 Jahren so genau, daß etwas Neues, ungeachtet aller Qualanstrengungen derjenigen, die nun durchaus einmal erfinden wollen, nicht mehr hervorgebracht werden kann.20 Die Masse der jetzigen Menschheit, wenigstens der Halbgebildeten in größeren Städten, wendet sich (ihr Essen, Trinken, Betrügen und Betrogen-Werden ausgenommen) zu der Kunst. Wahre Kunst, es sey welche es wolle, hat mit der Schönheit gemein, daß Jeder, auch ohne Studium, ihre Wirkung 25fühlt. In unserem Zeitalter sind aber soviel durch Ruhm-, Geld- oder Freß- und Sauf-Sucht entstandene belletristische Compendien, Journale, Vorlesungen p. p. erschienen, daß ein Theil der Leser dadurch verwirrt worden ist, ein anderer Theil sich an der Nase ziehen läßt, nach irgend einer beliebigen 30Autorität, und ein dritter Theil, im halbblinden Vertrauen auf diese Umstände (denn klar erkennen kann er sie nicht) die Marktschreier oder Kunstrichter zu spielen wagt. Die Losung ist jetzt Musik! Und leider, leider, nicht deshalb, daß die musicalischen Enthusiasten die Tiefe dieser 35Kunst erkannt hätten, sondern weil Musik noch bequemer und leichter als Poesie die Ohren kitzelt. Auch das möchte man dahingehen lassen, aber ekelhaft (und was ist schlimmer als ekelhaft?) ist es, daß die musicalischen Dilettanten mitsammt dem kunst- und wissenschaftslosen Pöbel 40nunmehr nicht mehr die Künstler, sondern die Persönlichkeit beachten. |
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