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[GAA, Bd. IV, S. 72]

 


sollen, denn als Vater, was er doch eigentlich seyn soll,
sah er zu jugendlich [S. 311 b] aus. Die Amenaide (Frl. v.
Weber) hatte keine Bravour. — Heute, den 21. Septbr.,
wurde der Kaufmann von Venedig gegeben. Ref. ist kein
5blinder Bewunderer Shakspeares und weiß recht gut, daß
Mancher, der selbst nichts leisten kann, diesen Dichter jetzt
zum Gott erheben will, jedoch nur, um dessen Pabst zu werden.
Der Kaufmann von Venedig bildet eine Masse von
Episoden, von denen mehrere nicht nothwendig zum Ganzen
10gehören, selbst der 5te Act hätte sich vielleicht weit kürzer
und drastischer in den 4ten einfügen lassen. Dabei fodern
Shakspeares Stücke mehr eine phantastische als wirkliche
Bühne, und ist es immer für eine Bühne wie die unsrige eher
zu vermeiden als zu wagen, Shakspearische Kost aufzudecken.
15— Den Shylok gab Herr Pichler der Jüngere, und zwar,
die Kleidung mitgerechnet, als eine reine Copie Devrients.
Mit Nachahmung ist stets etwas Übertreibung
verbunden, — von dieser Übertreibung, die sich z. B. in dem
vielfältigen Prüfen der Schärfe des Messers offenbarte, abgesehen,
20stand Herr Pichler jun. seinem Muster nahe. Er kann
aber auf eigenem Wege gehen, und Devrient ist als Shylok
nicht so groß, wie in mancher andern Rolle. Dieser Jude, Repräsentant
des Jahrhundertlangen Nationalhasses einer ganzen
Nation, zeigt seine Furchtbarkeit nicht in einzelnen grotesken
25Äußerungen und Gesten, sondern in der consequenten, aus
dem tiefsten Inneren quellenden Durchführung seiner Rachsucht.
Beiseits schadenfrohe, höhnische Blicke zu werfen, paßt
gar nicht zu seinem Character, — nicht schadenfroh und
höhnisch, sondern aus einer Art Instinkt, wie ein Raubthier
30seiner Beute steht er dem Antonio gegenüber. Shylok übt
wider die Christen das Kriegsrecht, — die Mittel sind
ihm gleich. Über die gewöhnlichen Juden ist [S. 312 a] er
weit erhaben, aber von ihren Fehlern freilich nicht ganz frei,
daher denn sein schmutziger Geiz. Ich zweifle, daß er dem
35Dogen bei seinem letzten Abgange das Messer vor die Füße
geworfen hätte, — das Messer kostet Geld. — Herr Lorzing
(Bassanio) bewies, daß er trotz seiner fast marqueurmäßigen
Gewandheit, da, wo es poetisches Gefühl gilt, nichts
ausrichtet. — Mad. Lorzing (Portia) war auf gutem Wege,
40ihre Rolle sentimental zu machen, wobei der Tonfall ihrer
Stimme nicht wenig half. — Mad. Hoffmann d. J. und