| [GAA, Bd. IV, S. 38] moralisches Gefühl befriedigte: die, welche wachend weder von Weiblichkeit, Schrecken oder Gewissensbissen sich besiegen läßt, wird schlafend im Nachtwandel davon emporgetrieben und überwältigt. Hier möchte ich der Mad. Stich zurufen: 5hier allein, sonst nirgends im Stücke, gilt es alle zurückgehaltenen Empfindungen hervorstürmen zu lassen, hier gilt es, nicht wie gewöhnlich geschieht, bloß zu erschüttern oder gar nur Verwunderung zu erregen, sondern auch zu Thränen zu rühren. Je starrer früher die Lady Macbeth war, 10um so gewaltiger wird der Naturruf, welcher in dieser Scene sich frei macht, den Hörer bewegen. — Übrigens ist Tiecks Ausdauer bei dem Erforschen des Shakspeares eben so sehr an einem selbstschaffenden Dichter zu bewundern als es natürlich ist, daß bei so langer Betrachtung 15eines geliebten Gegenstandes derselbe dem Betrachtenden immer interessanter wird. Ist L. Tiecks Kritik etwas Originelles, Großartiges und ausgestattet mit Kenntnissen vieler Art, so ist es zu erwarten, 1) daß sie von Vielen nicht verstanden und mißkannt wird, 202) daß also, je nachdem das Individuum beschaffen ist, der eine sie tadelt, der andre sie lobt, weil beide sie nicht verstehen, 3) daß bei Tiecks literarischem Ruhme eine ganze Schule von Ästhetikern ihm nachspricht, und weder weiß, was noch wie lächerlich sie redet.25 Denn, um die übrigen heutigen Shakspearo-Manisten einiger kurzer Sätze zu würdigen, so bewundern sie den Shakspeare ohngefähr aus folgenden Gründen: 1) weil sie fühlen, selbst nichts werth zu seyn, und daher den Shakspeare wie einen Zwölfpfünder betrachten, mit dem sie angreifen und 30sich vertheidigen können, 2) weil die Bewunderung des Shakspeare, nachdem seit 70 Jahren in Wort und Schrift das Möglichste für sie gethan ist, außerordentlich leicht geworden, — man braucht dabei nur alte Floskeln nachzuleiern, — 3) weil, was noch mehr sagen will, wegen dieser Leichtigkeit 35 die Shakspearo-Manie Mode geworden, — 4) weil die unbedingte Bewunderung des Shakspeare ein mehrfach assecurirtes Geschäft ist, indem die Mode und große Meister für sie sprechen, also der bewundernde Laffe immer seinen Hinterhalt behält, — 5) weil es einem kleinen Mann ein gewisses 40Selbstgefühl gibt, einem großen sein Lob ertheilen zu können, in specie wenn er dabei geringschätzende Seitenblicke |
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