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[GAA, Bd. IV, S. 81]

 


mehr gewinnt. Sie aber als erste Sängerin zu benutzen, wie es
denn oft geschieht, heißt sie aus ihrer Sphäre reißen, sie in Gesang
und Spiel für dieselbe verderben, und dagegen das Publikum
mit Bravour-Parthieen ermüden, denen nichts fehlt als die
5Bravour. Mit einer so dünnen Stimme als die des Fräul. v.
Weber die Recitative und Arien der Donna Anna vortragen
zu hören, erregt die Empfindung, als wenn statt des Stromes
ein Bächlein dahinrauschte. Weit lieber hätten wir die Sängerin
als Fanchon gesehen, besonders da sie auch nicht übel spielt,
10— aber als Fan-[S. 404 b]chon überraschte uns Mad. Hoffmann
d. j. zum zweitenmal. Von ihrer Stimme kann ich nicht
sprechen, denn sie hat keine; ein Gewinsel nach einem reinen
Tone ist hier und da nicht zu verkennen. Aber ihr Spiel! Es ist
Codille bei'm dritten Worte, welches sie spricht. Eine leidenschaftliche
15Empfindung auszudrücken ist ihr ganz unmöglich;
die rührendsten Worte kommen ihr mit einer so kalten Accentuation
aus dem Munde, als wie ein Kind in der Fibel
buchstabirt. Als Fanchon, der Bravour-Rolle einer Bethmann,
hat sie die Gefahr ihres zum Duell gehenden Liebhabers
20vergessen, ehe man eine Hand umdreht, und als sie in tiefster
Empörung ihres sittlichen Gefühls die Arie: „Fanchon, laß
die Leier klingen etc.“ singt, merkt man bei dem Vortrage
der Mad. Hoffmann nur den Gassenhauer. Wir rathen dieser
Dame ernstlich und als wohlmeinender Freund, sich bald
25in das Rollenfach hineinzustudiren, welches ihren Talenten
und ihrem Alter am meisten zusagt, nämlich in das der
ältlichen, komischen Frauen.

  [S. 408 a] Madame Braunhofer, die in zweiten Gesangparthieen
trefflich ist (bisweilen, z. B. als Myrrha, verziert sie jedoch
30zu viel) und eine noch trefflichere Soubrette abgeben würde,
wird fast gar nicht benutzt. Man sollte fast glauben, wir
hätten des Guten zu viel. — Dlle. Herold besitzt einen Alt,
der mehr Schule und theoretische Kenntniß verdient, als diese
Sängerin zu haben scheint. Das Spiel der Dlle. Herold, besonders
35ihre Armbewegungen, sind wie gelähmt. — Eine Dlle.
Wehrstädt würde uns die Mad. Hoffmann in all' den jüngern
Rollen, zu welchen dieselbe sich drängt, dreifach ersetzen,
wenn sie nicht in Gesang und Spiel an einem widerwärtig
näselnden Ton laborirte.

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  Unser weiblicher Opern-Chor ist schwach; Dlle. Herold und
Dlle. Wehrstädt mischen sich oft unter ihn und suchen ihn