| [GAA, Bd. IV, S. 51] selbst, die Töchter der Nacht, treten blutlechzend in die Scene, immer zweifelhafter schwebt die Wage für den Orestes zwischen Himmel und Hölle, und endlich ziehen eben diese Töchter der Nacht versöhnt, seegnend, als „Wohlwol- 5lende“ unter Geleit der Bürger, Jünglinge und Jungfrauen aus der Stadt. Den Leser ergreift die Empfindung als wäre ein Gewitter vorübergezogen und hätte nur Seegen hinterlassen. — Des Sophokles Oedipus in Kolonos macht den nämlichen Total-Effect, nur ist er mit noch sanfteren Tinten gemahlt, 10das Schreckliche steht schon in der Vergangenheit; wie die bleiche müde Nachmittagssonne noch einmal erröthet, die Welt mit Purpur überstrahlt und dann versinkt, geht der alte Held unter. Auch da ist vollkommene Versöhnung und Ruhe. Dabei findet sich in beiden Stücken (die Eumeniden 15hier und da ausgenommen) kaum ein Fehler in der Diction, und überdem nichts Außerwesentliches oder Groteskes. So weit hat Shakspeare es nie in der Tragödie gebracht, er schließt jedesmal ohne Befriedigung (im Lear sogar durch Cordelias Tod mit einer schneidenden Dissonanz) 20und die höchste Beruhigung, welche er uns gibt, pflegt die zu seyn, daß nachdem die Bösewichter den Guten in Tod und Elend gestürzt haben, noch ein paar unbedeutende Charactere übrig bleiben, von denen man hoffen darf, daß sie besser handeln werden als die zu bestrafenden oder bereits getödteten 25Verbrecher. Unsere Genies thäten gut, bei dem Trauerspiele eher an die Griechen als an den Shakspeare zu denken, womit ich keine Nachahmung anrathe. Selbst eine ernstliche nähere Ansicht der französischen, 30freilich in mehrerer Hinsicht einseitigen Tragiker würde den Leuten nur nützen: sie finden da, was ihnen fehlt: Ernst, Strenge, Ordnung, theatralische und dramatische Kraft, Besonnenheit, raschen Gang der Handlung. Sie finden auch (was sie kaum glauben werden) eine Menge Charactere, 35wie sie Shakspeare nicht besser hat, unter vielen Corneilles Chimène, Medea pp, Racines Iphigenia, Athalie, Berenice, Phädra, Nero pp, Voltaires Mahomet, Tancred, Amenaide, Orosman, Nerestan, Lusignan, Zayre, Gusman, Alzire pp pp. Sind Kraftworte, schlagende tragische Ausbrüche einmal da 40(wie sie die Herren am Shakspeare so besonders schätzen), so trifft man sie in den französischen Dichtern in der Regel |
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