Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
GAA, Bd. IV, S. 46 zurück Seite vorwärts

[GAA, Bd. IV, S. 46]

 


Fortinbras sich vorfindet. Überhaupt sind, wie ich bei dieser
Gelegenheit wohl bemerken darf, Shakspeares Expositionen
nicht so sehr, wie Schlegel es thut, zu loben. Freilich
eröffnet Shakspeare oft (nicht immer!) seine Stücke
5mit phantastischen Scenen, z. B. mit der Schildwache und der
Geistererscheinung im „Hamlet“, mit dem Vorbeischweben
der Hexen im „Macbeth“, mit dem Untergange des
Schiffes im „Sturme“, — aber hinter diesen Phantasiebildern
pflegt die eigentliche Exposition nur um so sicherer daher zu
10hinken, wie das denn in allen genannten Stücken der Fall ist.
Und wenn man aus langer Erfahrung weiß, wie wenig auf
dem Theater gleich beim ersten Aufziehen des Vorhangs große
Schläge auf den Erstdruck Zuschauer wirken, — wie dieser noch nicht
genug gesammelt ist, um sie zu verstehen oder aufzunehmen,
15so wird man exempli gratia einräumen, daß der Untergang des
Schiffes im „Sturm“ wenig dient, der nachfolgenden Unterredung
zwischen Prospero und Miranda, bei welcher die letztere
einschläft (ist das vielleicht auch shakspearische
Ironie?) die Langeweile zu benehmen. Die kunstloseste und
20trockenste Exposition befindet sich jedoch gleich zu Anfang
des Cymbeline.

  Kurz auf den Hamlet zurückzukommen, ist es merkwürdig,
wie der Prinz zwar an der Wahrhaftigkeit des Geistes zweifelt,
aber den nächsten Grund eines vernünftigen christlichen Zweifels
25nicht einsieht: der Geist fodert ihn zur Rache auf. Das
thut kein guter Geist, und entweder hat Shakspeare sich hier
Handschrift versehen oder es steht mit seinem Geiste nicht richtig. Übrigens
verkenne ich in der Anlage des Schauspieles nicht eine echt
shakspearische Feinheit. Ich bin subjectiv überzeugt, daß es
30ein wirklicher Geist ist, der den Hamlet zur Rache aufruft;
objectiv geht darüber dennoch keine Gewißheit aus dem Stücke
hervor. Es könnte dieser Geistererscheinung auch ein Betrug,
eine Cabale zu Grunde liegen, Erstdruck und grade dadurch daß
selbst diese alles motivirende Geistererscheinung, dieses Kettenglied
35zwischen Himmel und Erde, im zweifelhaften Lichte
schwebt, wird im Hamlet das Menschenschicksal zu einer
„Sphinx“.

  Der Raum gestattet mir nicht, die genannten shakspearischen
Stücke specieller zu berühren, oder noch mehrere zu allegiren.
40Wie leicht, wenn man auch bloß bei den von Schlegel übersetzten
Dramen stehen bleibt, ein begründeter Tadel wäre,